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Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel

Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel

Titel: Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Villa plus kostbarer Bibliothek nicht übernehmen wollte, wegen der hohen Kosten, was unsere Intellektuellen zu Hilfeschreien motivierte, wurde als Kulturschande angeprangert. Nicht aber das Verhalten, Denken und Handeln dieses Kommunisten. Man hätte die Bibliothek plus Villa versteigern sollen und das Geld denen zugute kommen lassen, die unter dem von ihm verherrlichten Regime leiden mußten. Mir imponieren »Renegaten« wie André Gide und Arthur Koestler mehr als dieser Kaviar essende Lebensschlaumeier. Der Münchner Fabrikantensohn war einer der wenigen Emigranten, die einerseits Reichtum zurückließen und andererseits zu Reichtum kamen. Seine Sekretärin, die seine Manuskripte mit fünf verschiedenfarbigen Durchschlägen abtippen mußte, durfte zwar an den täglichen Gymnastikübungen des Ehepaars Feuchtwanger teilnehmen — zum Essen hingegen wurde sie nicht gebeten.
    Feuchtwanger, der promovierte Literaturwissenschaftler und Brecht-Freund, begann mit Übersetzungen und
Nachdichtungen indischer, griechischer und spanischer Dramen. Er war ein Schriftsteller, der es verstand, sogenannte brisante Stoffe in »Fügte er hinzu«-Prosa zu verwandeln, und zwar so geschickt, daß Leser in aller Welt gierig zu diesen Leichtgewichten griffen. Mit dem Roman »Jud Süß« über den Aufstieg und Fall eines württembergischen Hoflieferanten im 18. Jahrhundert kam Feuchtwanger in den zwanziger Jahren zu Weltruhm. Ich habe kein einziges seiner Bücher mit Gewinn lesen können. Weder seine Zeitromane noch die historischen oder die Satiren gegen den Nationalsozialismus. Die Wurst, mit der er nach dem Schinken schmiß, war immerfort deutlich. Und wer ihn zu laut rühmt in unserer bundesdeutschen Literaturkritik, ist mir verdächtig.

Gustave Flaubert
    Gustave Flaubert »der Heilige des Romans«, der »Kunstmönch«, der Wegbereiter des L’art pour l’art? Für mich ist er zuerst der Mann mit dem schönen Schnurrbart, der als Glückspilz antrat: Er zog nämlich die richtige Nummer und entging dem Militärdienst.
    Seiner Nichte lieh er in seiner Gutmütigkeit viel Geld, das er nie zurückbekam. So brachte er den Rest seines Lebens unter Geldsorgen dahin. Mit Chopins Freundin George Sand (kein Mensch weiß, wie man das ausspricht) schrieb er sich. Er nannte sie seine »liebe Meisterin«.
    Als die Deutschen kamen, räumte er für ein paar Tage sein Haus. Nach seiner Rückkehr wollte er am liebsten alles ins Wasser werfen, was »die Herren« berührt hatten. Wenn es sein eigenes Haus gewesen wäre, hätte er es abreißen lassen. Und das, obwohl er sich einmal als Deutschen bezeichnet hatte, womit er den Romantiker in sich meinte. Er habe viele Jahre der Studien gebraucht, um sich »von all den nordischen Nebeln zu reinigen«.
    Sehr patriotisch aber war er nicht gesinnt. »Mein edles
Vaterland wird immer stupider«, schrieb er 1870 an Turgenjew. »Die allgemeine Dummheit wirkt sich auf die Individuen aus. Jeder begibt sich nach und nach auf das Niveau von allen.« Eine solche Aussage könnte man heute auch über unser geliebtes Vaterland machen.
    Flaubert, Epileptiker wie Dostojewski, starb mit achtundfünfzig Jahren nach einem heißen Bad, in dem er noch pfeiferauchend die Post durchgesehen hatte.
    Wer nichts zu lesen hat, sollte sich seine Reisetagebücher 16 kaufen. 1849 brach er in den Orient auf. Auch wenn er der Ansicht war, »Reisen entwickeln die Verachtung für die Menschheit«, gibt es Vergleichbares in der ganzen europäischen Literatur nicht.
    Am Ufer des Nil war es, wo er sich entschied, den Roman, an dem er gerade arbeitete, »Madame Bovary« zu nennen. Die erste Fassung von »Die Versuchung des heiligen Antonius« hatte er noch in Frankreich seinen zwei engsten Freunden vorgelesen, und zwar vollständig: vier Tage lang jeweils acht Stunden. Er war überzeugt, hier erstmals ein wirklich brauchbares Buch geschrieben zu haben. Das Urteil der erschöpften Zuhörer, die verabredungsgemäß die ganze Zeit über geschwiegen hatten, war vernichtend. Der Roman sei abscheulich. Flaubert solle ihn verbrennen und sich statt dessen einem einfachen Stoff
aus dem Leben zuwenden, zum Beispiel der Geschichte einer Ehebrecherin, die eben durch die Zeitungen gegangen war. Der geschockte Dichter nahm sich den Rat zu Herzen.
    Fünf Jahre arbeitete er Tag und Nacht daran. Umfangreiche Vorstudien trieb er, fertigte Lage- und Zeitpläne an, ließ Gutachten über medizinische und technische Fragen erstellen. Aus der banalen Alltagsgeschichte

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