umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)
Abschied zu winken. Berti nicht, die ja längst ihren Kiosk aufgemacht hatte; Borowski nicht, der bei Van der Baack den Garten harkte; und erst recht keine Spur von Wilma. Matti, Rudi und Mia würden die letzten drei Tage vor der großen Eröffnung auch mit sinnvolleren Dingen zu verbringen wissen, als mich zum Bahnhof zu begleiten.
Dann eben keine Winkehändchen, Tränen und Taschentücher.
Ich rieb meine eiskalten Hände und steckte mir bibbernd die nächste Zigarette an. Dann holte ich das Flugticket aus meiner Tasche und schaute, ich weiß nicht zum wievielten Male, drauf. Kein Zweifel. Nassau, Bahamas. Umsteigen in Miami.
Ich tastete in meiner Tasche nach meinem Reisepass und war beruhigt. Er war da, und er war nicht abgelaufen, was ich seit vorgestern auch schon mehrfach kontrolliert hatte. Nicht, dass sich das Ablaufdatum wie von Geisterhand plötzlich auf gestern verschoben hätte.
Der Lautsprecher auf dem Bahnsteig kündigte den in Kürze eintreffenden Stadtexpress nach Aachen über Düsseldorf Flughafen an. Ich trat die Zigarette auf dem Boden aus und nahm meine Reisetasche. Wenn ich es geschickt anstellte, ginge die in ihrem schmalbrüstigen Zustand sogar als Handgepäck durch. Nach dem Zwischenstopp in Miami würde das allerdings ganz anders aussehen. Der Knipser glaubte wohl, dass ich während vier Stunden Aufenthalt mit seiner Kreditkarte nicht so viel Schaden anrichten könnte. Eigentlich sollte er mich besser kennen.
Als der Zug einfuhr, hätte ich am liebsten laut gejubelt und auf einem Bein getanzt. Endlich ging es los. Raus aus dem Desaster, rein in mein neues altes Leben. Mein Herz bubberte und machte einen Stolperer. Mir wurde für einen kurzen Moment übel. Es ist Realität. Ich fahre, ich fahre, ich fahre. Keine billigen Sandsäcke mehr in meinem Leben – für diese Flut von Realität war ich bereit, die Türen sperrangelweit aufzureißen.
Ja, Maggie, du fährst, sagte meine innere Stimme gelangweilt. Gute Reise.
Kommst du etwa nicht mit?, fragte ich sie. Aber meine innere Stimme zuckte nur mit den Schultern, drehte sich um und sagte: Ich fahre nicht mit der Bahn. Bevor ich mir Gedanken darüber machen konnte, was sie damit meinte, hielt der Zug mit kreischenden Bremsen im Bahnhof. Die Türen öffneten sich, und eine Hand legte sich sanft auf meine Schulter. Ich drehte mich erschrocken um.
Da stand Matti in feinstem, grauem Zwirn, wie immer bei solch arktischen Temperaturen ohne Mantel, und lächelte mich an.
Ich hatte ihn natürlich nicht angerufen. Ehrlich, ich hatte es nicht übers Herz gebracht. Und jetzt stand er hier und guckte mich mit seinen blauen Augen an und sagte wie immer: nichts.
»Herr Matti. Wie schön …«, stammelte ich.
Er nahm mir die Reisetasche aus der Hand und ging in Richtung Treppe.
»He, Herr Matti, halt! Stopp! Wo wollen Sie denn hin? Ich muss in diesen Zug.«
Er drehte sich um. »Ich fahre Sie selbstverständlich, Frau Margret. Und dann verabschieden wir uns ordentlich.«
Na klar, man muss ordentlich von der Welt gehen, hatte Matti mir mal gesagt. Vermutlich erstreckte sich das ›Ordentlich‹ nicht nur auf den Übergang in die Ewigkeit, sondern auch auf simple Ortswechsel.
»Sie fahren mich nach Düsseldorf? Das müssen Sie nicht. Ich hab doch eine …«
»…Türen schließen selbsttätig, Vorsicht bei der Abfahrt …«, quäkte es aus den Lautsprechern. Die Türen schlossen sich, und der Zug rollte los. Matti war schon halb die Treppe hinuntergegangen. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm hinterherzulaufen.
»Matti, was ist, wenn wir in einen Stau kommen? Dann kriege ich meinen Flieger nicht!«
»Da ist kein Stau.«
»Was Sie nicht sagen. Sind Sie Hellseher?«
»Ich fahre Sie.«
Ja, danke für die Feststellung. Es ist immer Stau auf der A40. Immer!
Matti hatte schon die Heckklappe des Leichenwagens geöffnet und meine Tasche hineingestellt.
Rudi und Mia saßen auf den Notsitzen und winkten frenetisch, als sie mich sahen. Ich stieg ein, und Rudi überreichte mir ein Carepaket, eine Tüte voller Süßigkeiten, bevor ich überhaupt Hallo gesagt hatte.
»Weißt du eigentlich, Rudi, dass ich das bis Miami aufgegessen haben muss? Die Amis dulden keine Lebensmitteleinfuhr. Die verhaften dich schon für ein mitgebrachtes Kaugummi.«
»Du sollst es ja auch essen. Kannst ja von abgeben, wenn es zu viel ist.«
Matti setzte sich hinters Steuer und ließ den Wagen an. Mia reichte mir einen wunderschönen Schminkkoffer aus Aluminium. Genau
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