umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)
Director’s Cut. Da kann sich der Produzent auf den Kopf stellen …
»Diese Schlampe hat mir gerade noch gefehlt. Niemand darf vom Teller des Knipsers essen außer Maggie Abendroth! Warum kann er die Finger nicht von ihr lassen?«
»War das jetzt ein Untertitel?«
»Auf jeden Fall war es deutlich.«
»KAMERA ZOOMT AUF MAGGIE ABENDROTH. EIN ZITTERN GEHT DURCH IHREN KÖRPER. DAS VIBRIEREN WIRD HEFTIGER. IHR KOPF EXPLODIERT IN EINER BLUTFONTÄNE …«
»Cut, Frau Margret, Cut!«
»Hey, Cut ist gut, das schreien sie auch immer in den Serien.«
Der Take ist gestorben. Klappe und Umbau für Szene 86.
»Oh weh, arme Frau Margret …«
»Da ist ja wohl voll was danebengelaufen … Jetzt is’ sie wieder komplett weggetreten. Lass uns endlich einen Arzt anrufen.«
»… ohne Arzt kein Totenschein und ohne Totenschein kein Abtransport.«
»Was sagt sie? Das klang mal nicht nach Film.«
»Ich will nicht verbrannt werden.«
»Frau Margret, niemand wird verbrannt. Niemand. Sie sind in Sicherheit, bei mir und Rudi. Wachen Sie endlich auf …«
Ich könnte gar nicht wacher sein.
»KLAPPE 86 DIE ERSTE …
DAS GERÄUSCH EINER GEWALTIGEN DETONATION.
BLUT KLATSCHT AN DIE SCHEIBEN. DER ZERFETZTE KOPF VON MAGGIE ABENDROTH FLIEGT AN DER KAMERA VORBEI …«
Plötzlich gab es ein klatschendes Geräusch, das nicht in meinen Film gehörte. Meine Wange brannte wie Feuer. Der Schmerz war so heftig, dass er einen Toten aufgeweckt hätte. Ein zweiter Schlag traf meine andere Wange.
»Was?!«, schrie ich und riss die Augen auf. Rudis Augen starrten direkt in meine, und seine krumme Nase berührte meine beinahe.
»Cut!«, wurde ich angebrüllt. »Na geht doch. Hallo, wieder da? ’tschuldigung für die Backpfeife.«
Rudis Nase wanderte links aus dem Bild, und Mattis aschfahles Gesicht schob sich vor meine Augen. Er stammelte irgendetwas, das ich nicht verstand. Beschützend legte er einen Arm um meine Schultern. Hinter ihm tauchte wieder Rudis krumme Nase auf.
»Reg dich ab, Matti. Hat doch geholfen. Sie ist wieder da. Ich geh mal Kaffee machen.«
Warum bin ich wieder da? War ich denn weg?
»Das wollte er nicht, Frau Margret. Das war … das ist …«
Ich rieb meine brennende Wange und spürte, wie mir Tränen über das Gesicht liefen. Doch nicht etwa meine Tränen?
»Okay, okay«, krächzte ich. »Okay. FADE TO BLACK. TITLE. CREDITS. THE END.«
Als ich die Augen aufschlug, war es hell. Ich sah mich um – 1a Einrichtung – meine Güte, so ein Jetlag konnte einen ganz schön umhauen … Ich schlug die Decke zurück und setzte mich mühsam auf. Mir tat jeder Knochen im Leib weh – hatte ich mich gestern nach dem Abendessen etwa doch noch auf ein Tennismatch eingelassen? Falls ja, hiermit notieren, dass das nie wieder passieren wird. Nicht nach vierzehn Stunden Flug.
Auf dem Nachttisch standen eine silberne Isolierkanne und eine blütenweiße Porzellantasse. Ich schraubte die Kanne auf und roch daran – frischer Espresso. Wie schön, dass der Knipser mir einen hatte aufs Zimmer bringen lassen, dachte ich und schenkte mir ein. Der ist bestimmt schon mit seinem Assistenten zur Location gefahren und wollte mich nicht wecken. Ich fand meine Zigaretten auf dem Nachttisch und steckte mir eine an. Nach drei Schlucken Espresso und der ersten Zigarette fühlte ich mir bereit, dem neuen Tag und dem weiten, blauen Ozean ins Auge zu blicken. Vor dem Bett, ordentlich bereitgestellt, fand ich meine Prada- Latschen. Ich schlüpfte hinein, schlurfte zum Fenster und drehte die schwere Holz-Jalousie auf.
Es regnete in Strömen.
›Bestattungen Abendroth‹ prangte in riesigen, mattgrauen Lettern an der Fassade des gegenüberliegenden Gebäudes.
Ich drehte die Jalousie sofort wieder zu, nur um sie noch einmal, diesmal wesentlich langsamer, aufzudrehen … Wenn jetzt nicht sofort der Ozean auf der anderen Seite – der Ozean und Palmen!
Regen. Kein Ozean, keine Palmen. Mattgraue Schrift. ›Bestattungen Abendroth‹.
Ich muss sofort die Rezeption anrufen, die sollen mir einen Arzt schicken – ich brauche diese Pillen gegen Jetlag.
Meine Hände zitterten, mein Mund war trocken, und ich hatte das dringende Gefühl, mich übergeben zu müssen, als mein Blick den Spiegel traf. Wer war denn dieses Mopsgesicht? Probeweise fasste ich mir an die Nase. Die Hand im Spiegel tat dasselbe. Ich fuhr mir durch die … Nichts! Ich packte mit beiden Händen meinen Kopf und zerrte daran. Aber es half gar nichts. Dem Kopf im Spiegel fehlten
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