Umzug ins Glück
trübsinnig.
Ich ging nach oben in ihr Schlafzimmer und untersuchte ihren Schmuckkasten, in dem es, wie ich wusste, einige recht wertvolle
Stücke gab. Sollte ich die irgendwo verstecken oder mitnehmen? Wäre es Jan Hörnum zuzutrauen, dass er die Perlenkette und
die beiden massiv goldenen Armreifen klaute, wenn wir doch alle wussten, dass er hier zuletzt gewohnt hatte?
Das hielt ich für sehr unwahrscheinlich. Und ich konnte mir auch nicht vorstellen, wo ich die Sachen verstecken sollte, wenn
er doch viel mehr Zeit hatte, alles zu durchsuchen. Außerdem, argumentierte mein Verstand, wäre ein Verlust aus dem Schmuckkasten
einfacher nachzuweisen als sich hinterher daran zu erinnern, in welches Versteck man die Perlenkette denn nun getan hatte.
Aber wenigstens verschloss ich den Kasten ordentlich und stellte ihn in den Kleiderschrank. Tante Paulas Kleiderschrank war
riesig, weil sie inzwischen Onkel Rudolfs Hälfte auch nutzte. Es gab stapelweise Pullover und Shirts, mindestens zwei Meter
nur Flatterkleider in vielenFarben, schätzungsweise vierzig Paar Schuhe in den Originalkartons und einen Raummeter Handtaschen. Dafür hing kein einziger
Mantel im Schrank, und ich wusste auch, warum: Für Jacken, Mäntel, Stiefel und Schirme hatte sie unten nämlich noch einen
Extra-Schrank.
Ich holte tief Luft. Ich hatte ja schon viele Sachen, aber das hier sah aus, als hätte sie seit ihrer Hochzeit nicht eine
einzige Unterhose in die Kleiderspende gegeben. Neben dem Kleiderschrank gab es noch einen Schubladenschrank, und ohne konkrete
Veranlassung, einfach aus Neugier, öffnete ich die Lade in Höhe meiner Taille.
Man sollte immer auf Überraschungen gefasst sein. Tante Paula war gern gereist, und das dokumentierte sich hier durch eine
schier unglaubliche Anzahl von kleinen Hotelpackungen: Seifen, Shampoos, Körperlotionen, Nähetuis, Nagelfeilen, Kugelschreiber,
Notizblöcke, ja sogar die süßen Betthupferl auf den Kopfkissen hatte sie mitgenommen und hier verwahrt, statt sie zu essen.
Nun kann ich das ja verstehen. So ein kleines Shampoofläschchen hat einfach was. Man kann es gut in den Kulturbeutel packen,
es spart Platz und Gewicht, und wenn dann noch ein nobles Hotellogo draufsteht, ist es gleichzeitig eine Trophäe. Immer wieder
erinnert es einen daran, dass man wenigstens einmal im Leben im »Vier Jahreszeiten« übernachtet hat, auch wenn die Klimaanlage
zu laut war und man wegen des ungewohnten Kopfkissens nicht einschlafen konnte oder sonst irgendwas passiert ist, das den
Aufenthalt nicht zu dem Top-Ereignis werden ließ, das er hätte sein sollen. Ich war zum Beispiel mal mit Stephan in Dresden
im noblen Kempinski-Hotel »Taschenberg-Palais«, und obwohl ich mir vorgenommen hatte, dass das der Event des Jahres werden
sollte, konnte ich die erste Nacht nicht genießen, weil ich mir den Magen verdorben hatte, und diezweite stand ebenfalls unter einem schlechten Stern, weil Stephan und ich uns in der Stadt verloren hatten und er den ganzen
Tag deswegen sauer auf mich war. Aber ich habe immer noch ein paar der Pflegeprodukte aus dem hübschen Körbchen im Bad.
Was Tante Paula hingegen hier angehäuft hatte, überstieg meine Souvenirsammlung bei weitem. Und es waren beileibe nicht nur
Hotelpackungen, sondern auch die flachen Creme-Proben, die in Zeitschriften eingeklebt sind, und die Duftpröbchen, die man
in Parfümerien bekommt. Vereinzelt gab es dazwischen auch Geschenk-Sets mit bestickten Taschentüchern, Regenhauben, Schlüsseltäschchen,
eben all diesen Firlefanz, der in Spezialkatalogen unter der Rubrik »Giveaway« rangiert und bei einer Abnahme von über fünfhundert
Stück kostenlos mit dem Firmenlogo bedruckt wird.
Erschüttert schloss ich die Schublade wieder. Was wollte sie bloß damit? Wenn sie wenigstens regelmäßig diese Sachen weitergegeben
oder selbst verwendet hätte, dann würde es für mich Sinn machen. Aber diese Menge sprach eher dafür, dass sie die Sachen in
den Schrank warf und dann vergaß.
Entschlossen ging ich weiter ins Gästezimmer, wo ja nun Jan Hörnum untergebracht werden sollte. Ich hatte den Verdacht, dass
Onkel Rudolf zu seinen Lebzeiten hier häufiger gewohnt hatte, vielleicht wenn er zu unchristlichen Zeiten von der Jagd kam
oder aus anderen Gründen in Ungnade gefallen war. Dies war ein zutiefst männlicher Raum mit Bildern von jagdbarem Wild an
den Wänden, einem schweren Eichenschreibtisch und einer Menge
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