Umzug ins Glück
was war mit Nick? Der hatte sich dazu noch gar nicht geäußert. »Was denkst du denn?«, fragte ich
ihn herausfordernd. »Oder wusstest du das schon?«
»Ich hab dir doch gesagt, ich hatte keine Ahnung«, protestierte er. »Aber ehrlich gesagt, gefällt mir die Idee. In zwei Jahren
wird hinter meinem Haus die Umgehungsstraße gebaut, das kappt ungefähr zwei Drittel des Grundstücks. Dann wird meine jetzige
Wohnung ziemlich laut. Während Paulas Haus schön ruhig liegt, und mit zwei großen Fenstern im Dach wäre das ein tolles Studio.«
Umgehungsstraße in zwei Jahren? Ich hätte wetten können, dass ihm das wieder einer seiner Freunde aus der Stadtverwaltung
gesteckt hatte. Also war Nick schon mal dafür. Während ich diejenige war, die das Haus aufgeben musste, das ich mit Stephan
zusammen bewohnt hatte, in dem meine besten Jahre und meine schönsten Erinnerungen steckten … Und das natürlich auch viel Geld kostete, das ich eigentlich nicht hatte.
Schweigend trank ich meinen Kaffee, und die beiden anderen waren so vernünftig, mich erst mal in Ruhe zu lassen, während sie
schon die Details von Paulas Umzug planten. Ich glaube, bei jedem anderen, der mir so einen Vorschlag gemacht hätte, wäre
ich aufgestanden und gegangen. Aber ich hatte Paula so viel zu verdanken. Doch hatte sie deswegen das Recht, so massiv in
mein Leben einzugreifen?
Ich war schließlich erst sechsundvierzig, das ist meinesErachtens noch nicht der Zeitpunkt, zu dem man seinen Altersruhesitz plant. Ich musste Magnus immer noch einen Platz zum Nachhausekommen
bieten, auch wenn ziemlich sicher war, dass er nach dem Studium nicht wieder bei mir wohnen würde. Ich müsste meinen schönen
Garten aufgeben, obwohl der von Tante Paula auch nicht zu verachten war und ich dann Nick zwingen könnte, die Hecke zu schneiden
und Schnee zu schieben. Oje, was sollte ich bloß machen?
Wir brachten schließlich Paula wieder auf ihre Station, wo schon das Tablett mit dem Abendessen auf sie wartete: Roter Tee,
eine Scheibe Graubrot, eine Scheibe Knäckebrot, zwei Scheiben fade aussehender Fleischwurst, eine Ecke Schmierkäse, ein Schälchen
blasser Möhrensalat. »Gut, dass ich gerade Kaffee und Kuchen hatte«, stellte sie fest. »Möchtet ihr was davon?«
Wir lehnten dankend ab und verabschiedeten uns. Schweigend fuhren wir nach unten, und dann holte Nick mit seinen langen Beinen
in einer Geschwindigkeit aus, dass ich fast in Galopp verfallen musste, um mitzukommen.
»Hey«, rief ich schließlich keuchend. »Musst du noch ein Flugzeug kriegen oder warum rennst du so?«
Er blieb stehen und musterte mich. »Sorry«, sagte er. »Ich wusste nicht, dass du inzwischen ein bisschen kurzatmig geworden
bist.«
Kurzatmig? Warum sagte er nicht direkt ›alt und fett‹? Beleidigt marschierte ich neben ihm her. Jetzt hätte er von mir aus
auch im Dauerlauf zu seinem Auto sprinten können, ich hatte eh keine Lust, mit ihm zu reden. Jemand wie Ines hätte sich vermutlich
in dieser Situation ein Taxi genommen, aber ich war erstens zu geizig dazu, und zweitens bin ich auch nicht besonders gut
darin, solche Konflikte dramatisch eskalieren zu lassen.
Wütend ließ ich mich in sein Auto fallen, inständig hoffend, dass ich das mit dem Gurt dieses Mal allein hinkriegen würde.
Nick startete den Wagen. »Und?«, fragte er. »Was denkst du über den Vorschlag?«
»Weiß ich noch nicht«, fauchte ich und sah zum Seitenfenster hinaus.
Bis zur nächsten Ampel redeten wir kein Wort, dann sah er zu mir herüber. »Was ist los? Bist du traurig oder sauer über irgendwas?«
»Sauer über irgendwas?«, platzte ich heraus. »Erst erklärst du mir, dass ich zu dick geworden bin, und dann wunderst du dich,
dass ich schlechte Laune habe?«
Er sah tatsächlich verblüfft aus. »Wann habe ich denn gesagt, dass du zu dick bist?«
»Gerade eben!«, stieß ich hervor.
»Hab ich nicht!«, behauptete er.
»Hast du doch!«, rief ich empört. »Kurzatmig, ha! Das impliziert ja wohl ein gewisses Übergewicht.«
»Wenn ich kurzatmig sage, dann meine ich kurzatmig«, versetzte er. »Mia, es ist doch nicht meine Sache, wie viel du wiegst.
Aber wenn du schon auf so einem kurzen Stück Konditionsprobleme hast, dann werde ich das ja wohl aussprechen dürfen.«
»Konditionsprobleme«, brummte ich, nur marginal beruhigter. Er hatte ja recht, das war das Gemeine. Ich tat so gut wie gar
nichts für meinen Körper, außer ihn bei der Gartenarbeit an
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