Umzug ins Glück
…«
»Ach Mama!«, sagte er in dem gleichen mitleidigen Ton wie früher, wenn ich nicht kapierte, was er mir am Computer in Windeseile
vorgemacht hatte. »Vielleicht ist es an der Zeit, dass du dieses Mausoleum aufgibst?«
»Mausoleum?«, quiekte ich schockiert. »Was meinst du denn damit?«
»Ich meine damit, dass du es seit Jahren so gelassen hast, wie es war, bevor Papa starb. Wenn er noch lebte, hätten wir längst
neue Gardinen oder in der Küche eine Leiste mit Halogen-Strahlern, die wirklich dahin leuchten, wo man Licht braucht. Du traust
dich nicht, was zu verändern, weil du denkst, dass Papa das vom Himmel aus sieht und traurig ist.«
Kinder können grausam sein. »Aber mir gefällt das, wie es …«
»Wirklich?«, fragte er rücksichtslos. »Mama, wenn ich zuhause bin, zeigst du mir manchmal Fotos in Zeitschriften. Und die
sehen ganz anders aus. Magst du wirklich noch diese Couchgarnitur im Wohnzimmer? Oder die Keramiklampe über dem Esstisch?«
»Die vielleicht nicht, aber die war damals richtig teuer.«
»Meinst du nicht, dass die nach zwanzig Jahren abgeschrieben ist? Und ohne schlechtes Gewissen ersetzt werden kann?«
Ich wanderte mit dem Telefon und der Stimme meines unkooperativen Sohns darin in das besagte Wohnzimmer. Ich versuchte es
mit den Augen eines unbeteiligten Besuchers wahrzunehmen. Nicht unbedingt die von Jan Hörnum, aber die der Fußpflegerin vielleicht.
Ich sah eine Orgie in Kiefer, nicht das billige Schwedenzeug von Ikea, sondern solide Ware, die den Worten des Möbelhausberaters
zufolge ein Leben lang halten würde. Stimmte ja auch, denn Stephan hatten die Möbel deutlich überlebt.
Ich sah all die Dinge, die sich mit der Zeit ansammeln, wenn man Gäste hat oder sich auch selber mal einen Wunsch erfüllt.
Während ich dazu tendiere, alles symmetrisch anzuordnen, hatte Stephan eher experimentiert,und viele Arrangements hatte ich so gelassen – den schräg in die Ecke gestellten Sekretär, das Sideboard mit den der Größe
nach geordneten Babuschka-Figuren aus der Zeit, in der Stephan ein paarmal geschäftlich nach Russland gefahren war. Den riesigen
Hydrokultur-Bottich mit dem Ficus, der schon allein deshalb immer noch da stand, weil ich ihn allein kaum bewegen konnte.
Die Sammlung von Glasflaschen auf der Fensterbank. Den Teppich, den wir aus Tunesien mitgebracht hatten.
»Mama?«, fragte Magnus jetzt etwas verunsichert. Ich hatte wohl auf seine letzte Frage nicht reagiert. »Alles in Ordnung?«
»Ach, Maggi«, seufzte ich. »Ich muss darüber einfach noch mal nachdenken. Dir würde das gar nichts ausmachen, wenn ich das
Haus verkaufe und mich kleiner setze?«
»Solange du nicht meine Klamotten auch verkaufst«, erwiderte er. »Ich würde dir schon übel nehmen, wenn ich nach Hause käme
und meine Plattensammlung wäre weg.«
»Darum geht es nicht, und das weißt du auch.«
»Mama, du musst das selbst entscheiden«, sagte er. »Du bist doch schon groß.«
Das half mir auch nicht weiter. Nachdem ich mich von ihm verabschiedet hatte, ging ich schnurstracks zum Kühlschrank und aß
vier Scheiben Schinken direkt aus der Verpackung. Ohne mich damit aufzuhalten, ein Brot zu belegen. Ohne auf den Rucksack
zu achten, der ganz in der Nähe stand. Und ohne mich an die Pannfisch-Dose zu erinnern. Es ging nur um das tröstliche Gefühl,
etwas Leckeres im Mund zu haben. Und dabei spielte es keine Rolle, dass alle vier Scheiben exakt gleich schmeckten.
So nachhaltig wirksam waren demnach die heute ausprobierten Methoden nicht.
7
Am nächsten Tag hatte sich das Wetter nicht gebessert. Es erforderte schon einiges an Selbstdisziplin, mit Lodenmantel, Gummistiefeln
und einem alten Hut bewaffnet nach draußen zu gehen, aber schließlich hatte ich mir dafür Urlaub genommen. Verbissen fegte
ich feuchtes Laub auf und brachte es auf den Kompost, das war nun mal der Preis, den man für einen schönen großen Garten mit
altem Baumbestand zahlt.
Offensichtlich hatte ich dabei die Klingel überhört, denn irgendwann kam jemand um die Hausecke, der mir zurief: »Entschuldigung,
wissen Sie, wo Frau …«
Ich fuhr herum. »Nick? Was machst du denn hier?«
»Ach, du bist das!« Er lachte amüsiert. »Gehst du immer verkleidet in den Garten?«
»Solange ich mir keinen Gärtner leisten kann«, versetzte ich. »Was führt dich her?«
»Ich war gerade in der Gegend, und da dachte ich, wir könnten vielleicht mal eben zu Paulas Haus rüberfahren
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