Umzug ins Glück
…«
»… obwohl sie verwitwet ist und deshalb kein Recht mehr auf aktiven Sex hat?«, fragte ich bewusst provozierend.
Ines zog den Kopf ein. »Touché. Tut mir leid, Mia, so war es nicht gemeint. Aber du hättest mir ruhig mal einen Tipp geben
können, statt mich in diese schwule Sackgasse laufen zu lassen. Als ich euch da gerade so sah, wurde ich richtig neidisch.«
Vielleicht war das ausgleichende Gerechtigkeit. Ich war so oft neidisch auf Ines gewesen, auf ihren beruflichen Erfolg, ihre
unerschütterlichen Positionen, ihre selbstsichere Art. Aber all das, wurde mir klar, würde ich nicht gegen die letzten drei
Tage mit Nick eintauschen wollen.
Drei Tage nur! »Ich hatte noch nicht die Gelegenheit«, sagte ich. »Nick und ich … das hat sich eigentlich erst seit Samstag entwickelt.«
»Ach du Schreck!«, rief Ines. »Dann platze ich ja tatsächlich in die heißeste Phase der Balz. Soll ich wieder gehen?«
»Ach nein«, entschied ich. »Zum einen erhöht es die Spannung, zum anderen hätte ich sonst so ein schlechtes Gewissen.«
»Na gut«, sagte sie. »Ich hatte mir nämlich überlegt, ob wir nicht rasch was zu essen beim Chinesen bestellen. Ich habe einen
Mordshunger. Was meinst du?«
Ich hatte nichts dagegen, und Nick, der gerade in Paulas Gästezimmer eine dunkelbraune Gardinenstange abmontierte, auch nicht.
»In Ordnung«, sagte Ines und zückte bereits ihr Handy. »Ich lade euch ein.«
Das bedeutete natürlich ein rein vegetarisches Essen, zudem mit Stäbchen in Ermangelung von anderem Besteck, und es gab auch
bestimmt gemütlichere Sitzgelegenheiten als die Wolldecke aus meinem Auto, die wir im Wohnzimmer über die eingerollten Teppichreste
breiteten, da Nick heute schon den Teppichboden entfernt hatte. Aber trotzdem hatte es was.
»Das nennt man dann ›back to the roots‹«, befand Nick, während er mühsam den Rest Bratnudeln aus dem Styroporbehälter pickte.
Ich hatte mir die extrem heiße vegetarische Frühlingsrolle für zuletzt aufbewahrt und bemühte mich jetzt, sie möglichst ohne
Kleckern zu essen. »Das müsste dir doch entgegenkommen«, sagte ich. »Der absolute Verzicht auf die Dinge.«
»Von absolutem Verzicht habe ich nie gesprochen«, protestierte er. »Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich mit dem Nichts
vereinigen wollen.«
»Klar, jetzt bin ich’s wieder«, sagte Ines. »Erst esst ihr meine Speisen, und dann hackt ihr auf mir rum. Aber das erinnert
mich an was.« Sie griff nach ihrer Handtasche und holte eine Zeitschrift hervor, auf deren Titel eine Buddhafigur prangte.
»Was ist das denn?«, fragte ich sie. »Das ›Nirvana Aktuell‹ oder ›Meditieren mit Stil‹?« Nicht, dass Sie glauben, ich hätte
mir das spontan ausgedacht. Doris und ich hatten mit Blick auf Lea neulich kreativ geblödelt, und neben der ›Buddha Times‹,
›Feng Shui im Auto‹ oder ›Stricken für Buddhisten‹ waren auch diese Ideen dabei entstanden. Ich konnte einfach nicht widerstehen,
sie endlich anzuwenden.
»Spotte du ruhig«, sagte Ines erstaunlich gelassen und blätterte in dem Magazin. »Hier steht’s. Letzte Woche haben sie den
Bodhisattva Monasanga in der Schweizverhaftet.« Sie hielt ein Bild hoch, das einen fetten, verklärt grinsenden Mann mit Zopf in orangefarbenen Gewändern zeigte.
»Reizender Mensch«, sagte Nick. »Und was hat er sich zuschulden kommen lassen? Mögen die Behörden in der Schweiz die Art nicht,
wie er seine Einkommenssteuer angibt?«
»Sie mögen vor allen Dingen nicht, dass er sein Schlafzimmer mit vierzehnjährigen Mädchen teilt«, berichtete Ines. »Zwei davon
sind inzwischen schwanger.«
»Oh!«, sagte ich schockiert. Das war eine besonders unerfreuliche Variante von liebendem Geben.
»Genau«, sagte Ines. »Ich hatte doch gleich den Eindruck, dass dieser Typ nicht so ganz auf der Linie der klassischen Lehre
liegt. Vielleicht kannst du es ja deiner Kollegin schonend beibringen.«
»Vielleicht weiß sie es schon«, murmelte ich. »Sie hat sich ziemlich überraschend Urlaub genommen.«
»Oje«, sagte Ines besorgt. »Als damals der Bhagwan seine Sekte auflöste, gab es wohl einiges an Folgeschäden. Haltlose Menschen,
die nichts mehr zum Glauben hatten. Ich würde mich mal nach ihr erkundigen an deiner Stelle.« Sie piekte ihre Stäbchen durch
den Styropordeckel eines Behälters. »Und jetzt verlasse ich euch, damit ihr wieder eurem Hobby nachgehen könnt.«
Nick sah ihr nach, bis sie das Haus
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