Umzug ins Glück
sich im letzten Herbst von der Bühne verabschiedet hat, herrschte lange Zeit großes
Rätselraten darüber, wer seine Nachfolge antreten wird. Schon länger wurde gemunkelt, man sei mit einem bekannten deutschen
Schauspieler in Verhandlungen, aber bisher bewahrte die Pressestelle immer Stillschweigen zu dieser Frage. Heute war es dann
endlich so weit. In einer Pressekonferenz stellte Friedbert Fleischer, der Geschäftsführer der Festspiele, endlich den neuen
Star vor. Näheres dazu von unserer Mitarbeiterin vor Ort, Petra Bodenstein, nach einer kurzen Werbepause.«
Mein Herz klopfte, als ginge es dabei um mich. Jan Hörnum hatte endlich sein Ziel erreicht und seinen Vertrag unterschrieben.
Damit ich den Bericht in Ruhe und mit voller Konzentration hören konnte, bog ich kurzentschlossen auf den Plus-Parkplatz ab
und stellte mich ineine Lücke neben den Glascontainern. Weil sie eigentlich für Behinderte gedacht war, bot sie wunderbar viel Platz. Wenn ein
Behinderter käme, würde ich auch sofort wegfahren. Es kam aber keiner.
Nachdem ein Bredenscheider Autohaus seine Reklame gesendet hatte, meldete sich Petra Bodenstein, und ich war überrascht über
das Gekreische im Hintergrund. Sang sich da der Shantychor Greetsiel zu einem spontanen Glückwunschständchen ein?
»Ja, endlich wissen wir Bescheid!«, rief Petra in ihr Mikrofon. »In einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz im Saloon
der Westernstadt hat uns vor einer halben Stunde Geschäftsführer Friedbert Fleischer die beiden wichtigsten Männer der neuen
Freilicht-Saison vorgestellt. Zum einen handelt es sich dabei um Reinhard Rogalski, der nach langen Jahren als Held jedes
Karl-May-Stücks nun das Pferdehalfter an den Nagel gehängt hat und auf den Regiestuhl umgestiegen ist. Wir hatten die Chance,
Herrn Rogalski nach seinen Gründen für diesen Schritt zu befragen, und hier ist seine Antwort.«
Nun hörte man die Stimme von Reinhard Rogalski, der sehr bedächtig sprach: »Wenn man erst mal fünfundfünfzig ist, dann wird
es Zeit, es ein wenig ruhiger angehen zu lassen. Ich habe sechsundzwanzig Jahre auf dieser Bühne gestanden, und ich habe es
gern getan, und jetzt möchte ich meine Erfahrung gern an anderer Stelle für diese großartige Einrichtung einbringen.«
Fünfundfünfzig, dachte ich entrüstet, während Petra einige Fakten über Besucherzahlen herunterlas, um die Spannung für die
eigentliche Überraschung zu erhöhen. Da gibst du schon auf, während Jan Hörnum gerade erst seine Reitstunden nimmt? Schämst
du dich denn gar nicht, wenn du demnächst einen Mann über die Bühnescheuchst, der schon Theater gespielt hat, als du noch in die Schule gingst?
»Doch jetzt zu der zweiten Hauptperson«, fuhr Petrafort. »Und Sie hören schon, liebe Zuhörer, dass sich hinter mir bereits
eine Menge aufgeregter, größtenteils weiblicher Fans eingefunden hat, um ihrem Idol zu seiner neuen Aufgabe zu gratulieren.
Denn der neue Kara Ben Nemsi ist kein Geringerer als der strahlende Stern am Teenie-Himmel, der aus der Vorabend-Soap ›Schwestern liebe , Bruderhass‹ beliebte Holger Helmut Kasprowiak, unter seinen Fans auch als Holli K. bekannt. Er wird in diesem Sommer zusammen
mit Hadschi Halef Omar vom 17. Juni an über die Naturbühne reiten …«
Gut, dass ich auf dem Parkplatz stand und nicht gerade durch den Bredenscheider Feierabendverkehr gondelte. Während Friedbert
Fleischer irgendetwas darüber brabbelte, dass sein neuer Hauptdarsteller ein jugendlicheres Publikum anziehen könnte und die
Freilichtbühne sich insgesamt moderner ausrichten wollte, versuchte ich mich zu sammeln. Die hatten Jan Hörnum die ganze Zeit
hingehalten, bis sie endlich diese gerade der Pubertät entwachsene Haargelschleuder verpflichten konnten! Er hatte sich Hoffnungen
gemacht und Pläne geschmiedet und seinen Hintern wund geritten, während die Manager der Festspiele längst ihre neue Zielgruppe
definierten, und das waren auf keinen Fall die Silberpappeln, für die Jan Hörnum noch ein Prominentenname war.
Ob er das schon wusste? Ich hatte das Gefühl, ich müsste mich jetzt um ihn kümmern. Damit konnte man ihn nicht allein lassen.
Ich holte mein Handy aus der Tasche – es war tatsächlich aufgeladen, damit ich für den Mann meines Herzens erreichbar war
– und rief Nicks Mobilnummer an.
»Wo bleibst du?«, fragte er munter. »Du musst dirunbedingt ansehen, was ich mit dem Findelkind gemacht habe. Und
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