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Unbefugtes Betreten

Unbefugtes Betreten

Titel: Unbefugtes Betreten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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hoffnungsvollen Herzen, das verletzt zu werden erwartete. Dann hieße es, die Wanderung überstehen, sich fröhlich verabschieden, nach Hause gehen und zu Abend das übrig gebliebene Sandwich und die Mandarine essen. Das wäre wirklich traurig.
    Wandern ging er freilich weiterhin. An fast jedem Wochenende, bei fast jedem Wetter ging er hinaus mit seinen Wanderschuhen, dem Rucksack, der Wasserflasche undder Karte. Er mied auch nicht die Wanderungen, die er mit Cath gemacht hatte. Schließlich waren das nicht »ihre« Wanderungen; und wenn, konnte er sie sich nicht wieder zu eigen machen, indem er sie alleine unternahm? Sie gehörte nicht Cath, die Rundwanderung von Calver aus: den Derwent entlang, durch Froggatt Woods nach Grindleford, vielleicht mit einem Abstecher zum Mittagessen im Grouse Inn, dann vorbei am Steinkreis aus dem Bronzezeitalter, der in den Sommermonaten im Adlerfarn verschwand, zur grandiosen Überraschung des Curbar Edge. Die gehörte nicht ihr; die gehörte niemandem.
    Danach trug er in sein Wanderbuch ein: »2 Std. 45 Min.«. Mit Cath hatte sie jeweils 3 Std. 30 Min. gedauert sowie zusätzliche 30 Min., wenn sie im Grouse noch ein Sandwich gegessen hatten. Das gehörte zum Singledasein: Man sparte Zeit. Man wanderte schneller, man kam schneller nach Hause, trank sein Bier schneller, aß schneller zu Abend. Der Sex, den man mit sich allein hatte, war auch schneller. Man sparte so viel Zeit, überlegte Geoff, Zeit zum Einsamsein. Aufhören, sagte sich Geoff: Du darfst kein Trauerkloß werden; du darfst nur traurig sein.
    »Ich hatte geglaubt, wir würden heiraten.«
    »Drum tun wir’s nicht«, hatte Cath geantwortet.
    »Das versteh ich nicht.«
    »Eben.«
    »Erklär’s mir bitte.«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Eben darum. Wenn du das nicht siehst, wenn ich das erklären muss – das ist der Grund, warum wir nicht heiraten.«
    »Das ist kein logischer Schluss.«
    »Nein, es ist nur Schluss.«
    Vergisses, vergiss es, das ist vorbei. Einerseits überließ sie dir gern die Entscheidungen; andererseits warf sie dir Kontrollwahn vor. Einerseits lebte sie gern mit dir zusammen; andererseits wollte sie nicht mehr mit dir zusammenleben. Einerseits wusste sie, dass du ein guter Vater wärst; andererseits wollte sie keine Kinder von dir. Wo blieb da die Logik? Vergiss es.
    »Hallo.« Er war über sich selbst erstaunt. Er begrüßte keine unbekannten Frauen beim Anstehen fürs Mittagessen. Unbekannte Frauen begrüßte er nur auf Wanderwegen, wo ihm mit einem Nicken, Lächeln oder Heben des Trekkingstocks geantwortet wurde. Doch sie war ihm bekannt.
    »Sie sind aus der Bank.«
    »Stimmt.«
    »Lynn.«
    »Sehr gut.«
    Fast schon genial, dass ihm ihr Namensschild hinter dem Panzerglas eingefallen war. Außerdem hatte sie auch die vegetarische Lasagne. Durfte er …? Gern. Es war nur noch ein Tisch frei. Irgendwie war es einfach. Er wusste, dass sie in der Bank arbeitete; sie wusste, dass er an der Schule unterrichtete. Sie war vor ein paar Monaten in die Stadt gezogen, und, nein, sie war noch nie auf dem Hügel oben gewesen. Ob das mit Turnschuhen ginge?
    Am folgenden Samstag trug sie Jeans und einen Pullover; sie wirkte teils amüsiert, teils erschrocken, als er seine Wanderschuhe und den Rucksack aus dem Kofferraum holte und seine scharlachrote Goretex-Jacke mit dem Mesh-Futter anzog.
    »Sie brauchen Wasser.«
    »Ach ja?«
    »Es sei denn, Sie wollen aus meiner Flasche trinken.«
    Sienickte; sie gingen los. Während sie von der Stadt aus bergauf gingen, weitete sich der Ausblick, und sie sahen ihre Bank ebenso wie seine Schule. Er ließ sie das Tempo bestimmen. Sie ging leicht. Er wollte sie fragen, wie alt sie sei, ob sie trainiere. Er wollte ihr sagen, sie sehe größer aus, als wenn sie hinter der Scheibe sitze. Stattdessen wies er auf die Überreste eines ehemaligen Schieferbruchs hin und auf die seltene Rasse von Schafen – hießen die Jacobs? –, die Jim Henderson züchtete für Leute im Süden, die Lamm wollten, das nicht nach Lamm schmeckte, und bereit waren, den entsprechenden Preis zu zahlen.
    Auf halber Höhe begann es zu nieseln, und er machte sich Sorgen wegen ihrer Turnschuhe auf dem nassen Schiefer in Gipfelnähe. Er hielt an, öffnete den Reißverschluss seines Rucksacks und gab ihr seine zweite Regenjacke. Sie reagierte, als fände sie es normal, dass er eine dabei hatte. Das gefiel ihm. Sie fragte nicht, wem sie gehöre, wer sie hinterlassen habe.
    Er reichte ihr die Wasserflasche. Sie

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