Unbefugtes Betreten
so weitergeht, sind wir demnächst bei der ›Sind wirklich sechs Millionen umgekommen?‹-Frage. Oder dass die Bilder von der Mondlandung gefälscht gewesen seien, weil der eine Schatten so gar nicht möglich gewesen sei. Oder dass die Bush-Regierung 9/11 geplant habe.«
»Nur Faschisten bezweifeln den ersten Punkt, und nur Spinner glauben den zweiten.«
»Und die Bush-Regierung kann die Angriffe vom 11. September schon deswegen nicht geplant haben, weil sie nicht schiefgingen.«
»Oh, Larry gibt sich als Engländer und macht zynische Witze. Herzlichen Glückwunsch!«
»Na ja, man passt sich an …«
»Nein, mir geht es um etwas anderes, nämlich die Frage: Warum glauben wir Nichtfaschisten und Nichtspinner das, was wir glauben?«
»Nämlich?«
»Irgendwas von ›Zwei plus zwei gibt vier‹ bis ›Gott ist im Himmel, und auf Erden ist alles gut‹.«
»Aberwir glauben ja gar nicht, dass auf Erden alles gut sei, und auch nicht, dass Gott im Himmel sei. Im Gegenteil.«
»Und weshalb glauben wir das Gegenteil?«
»Weil wir das selbst herausgefunden haben, oder weil Experten gesagt haben, es sei so.«
»Und warum glauben wir den Experten, denen wir glauben?«
»Weil wir ihnen trauen.«
»Und warum trauen wir ihnen?«
»Ich beispielsweise traue Galileo mehr als dem Papst, und deshalb glaube ich, dass die Erde sich um die Sonne dreht.«
»Aber wir trauen ja gar nicht Galileo selbst, und zwar aus dem einfachen Grund, dass keiner von uns Galileos Beweisführung gelesen hat. Ich nehm das jetzt einfach mal an. Wir trauen also nicht direkt, sondern gleichsam sekundär, auf der Expertenebene.«
»Wobei diese Experten wohl mehr wissen, als Galileo gewusst hat.«
»Ja, aber damit kommen wir zu einem Paradox: Wir alle lesen Zeitungen, und die meisten von uns glauben das meiste, was in unseren Zeitungen steht. Andererseits kommt bei jeder Umfrage heraus, dass man Journalisten nicht trauen kann. Die sind ganz unten, auf dem gleichen Niveau wie Grundstücksmakler.«
»Unzuverlässig sind die Zeitungen der anderen. Unsere sind sehr wohl zuverlässig.«
»Irgendein Genie hat mal geschrieben, ein Satz, der anfange mit ›Jeder Fünfte von uns glaubt oder meint‹, sei automatisch verdächtig. Am wenigsten stimmen dürfte also ein Satz, der anfängt mit ›Vielleicht jeder Fünfte …‹«
»Wer war dieses Genie?«
»EinJournalist.«
»Das ist wie diese Sache mit den Überwachungskameras, ihr wisst schon. Dass es in Großbritannien pro Kopf mehr von den Dingern geben soll als in jedem anderen Land der Welt. Das wissen wir alle, nicht wahr? Nun, in einer Zeitung hat ein Journalist geschrieben, das sei alles Blödsinn und nichts als Paranoia, und hat es widerlegt oder zumindest zu widerlegen versucht. Für mich hat er es jedenfalls nicht widerlegt, weil er einer dieser Journalisten ist, mit denen ich nie einer Meinung bin. Ich habe mich also geweigert zu glauben, dass er in dieser Sache recht haben könnte. Danach hab ich mich gefragt, ob ich ihm vielleicht auch deshalb nicht glaube, weil ich gern in dem Land leben möchte, das die meisten Überwachungskameras hat. Und dann habe ich vergeblich herauszufinden versucht, ob das daher kommt, dass ich mich sicherer fühle – oder ob ich eigentlich ganz gern paranoid bin.«
»Mit anderen Worten: Wo ist der Punkt oder die Linie, an dem oder an der vernünftige Menschen die Wahrheit nicht mehr als gegeben annehmen, sondern sie in Zweifel ziehen?«
»Ist es nicht so, dass in der Regel eine Häufung von Indizien dazu führt, dass man Dinge in Zweifel zu ziehen beginnt?«
»Im Sinne von: Der Ehemann ist immer der Erste, der Verdacht schöpft, und der Letzte, der tatsächlich Bescheid weiß?«
»Oder die Ehefrau.«
» Mutatis mutandis .«
» In propria persona .«
»Das ist auch so was bei den Briten. Briten wie euch jedenfalls: Dass ihr Latein sprecht.«
»Tun wir das?«
»Kannschon sein. Homo homini lupus .«
» Et tu, Brute .«
»Falls du jetzt das Gefühl hast, wir prahlen hier mit unserer Bildung. Dem ist nicht so. Es hat eher was mit Verzweiflung zu tun. Wir sind vermutlich die letzte Generation, die solche Formulierungen noch im Repertoire hat. Im Kreuzworträtsel der Times kommen jedenfalls keine Klassiker mehr vor. Auch keine Shakespeare-Zitate. Wenn wir mal tot sind, sagt keiner mehr so was wie quis custodiet ipsos custodes .«
»Und das ist dann ein Verlust, oder wie?«
»Meinst du das jetzt ironisch oder nicht?«
»Das weiß ich selber nicht.«
»Wer
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