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Unbefugtes Betreten

Unbefugtes Betreten

Titel: Unbefugtes Betreten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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kommt jetzt dann auf der linken Seite. Aber ich finde, den sollten wir uns ein andermal anschauen.«
    »Ein andermal?«
    »Jetzt steht er mitten im Adlerfarn.«
    »Du meinst, man sieht dann zu wenig.«
    »Nein, nicht deswegen. Das heißt, man sieht ihn in anderen Jahreszeiten tatsächlich besser. Es geht mir um was anderes: Von August bis Oktober ist es nicht ratsam, durch Adlerfarn zu gehen. Oder auch nur in Windrichtung davon.«
    »Du erklärst mir jetzt gleich, warum, nicht wahr?«
    »Na ja, jetzt, wo du fragst. Also: Wenn du zehn Minuten lang durch Adlerfarn gehst, atmest du bis zu 50 000 Sporen ein. Die sind zu groß für die Lunge, also kommen sie in den Magen. Tests haben gezeigt, dass sie bei Tieren Krebs erregen.«
    »Was ein Glück, dass Kühe nicht auch noch rauchen.«
    »Außerdem gibt es Zecken, die Lymeborreliose übertragen, die –«
    »Und deshalb?«
    »Und deshalb musst du, wenn du durch Adlerfarn gehst, die Hosenbeine in die Socken stopfen, darfst die Ärmel ja nicht hochkrempeln und musst eine Gesichtsmaske tragen.«
    »Eine Gesichtsmaske?«
    »Es gibt eine von Respro.« Sie hatte gefragt, und wer fragte, bekam eine entsprechende Antwort verpasst. »Das sogenannte Banditentuch von Respro.«
    Als sie sicher war, dass er fertig war, sagte sie: »Danke. Jetzt leih mir dein Taschentuch.«
    Siestopfte ihre Hosenbeine in die Socken, rollte ihre hochgekrempelten Ärmel hinunter, band sich sein Taschentuch wie ein Bandit vors Gesicht und stapfte in den Adlerfarn. Er wartete auf der windabgewandten Seite. Was man auch noch tun konnte: Bug Proof auf die Hose und die Socken sprühen. Das war ein Kontaktgift, das die Zecken tötete. Persönlich ausprobiert hatte er es nicht. Noch nicht.
    Nachdem sie zurückgekommen war, gingen sie schweigend über den Sandsteingrat, der entweder Froggatt Edge oder Curbar Edge oder beides hieß, das war ihm im Moment egal. Der Grasboden hier oben war federnd und wuchs direkt bis zum Rand, von wo es wohl mehr als hundert Meter abwärts ging. Das war jedes Mal wieder eine Überraschung: Ohne das Gefühl zu haben, heftig geklettert zu sein, fand man sich plötzlich erstaunlich hoch oben wieder, Kilometer über dem sonnenbeschienenen Tal mit seinen winzigen Dörfern. Man brauchte nicht mit einem verdammten Gleitschirm herumzugondeln, um so eine Aussicht zu genießen. Hier in der Gegend hatte es Steinbrüche gegeben, aus denen viele Mühlsteine des Landes stammten. Doch das sagte er ihr nicht.
    Er liebte diese Stelle. Als er das erste Mal hergekommen war, hatte er ins Tal hinuntergeschaut, meilenweit kein Mensch zu sehen, als plötzlich zu seinen Füßen ein Gesicht mit einem Helm aufgetaucht war und aus dem Nichts ein bärtiger Bergsteiger sich aufs Gras hochgehievt hatte. Das Leben steckte einfach voller Überraschungen, nicht wahr? Bergsteiger, Höhlenforscher, Gleitschirmflieger. Die Leute glaubten, in der Luft sei man frei wie ein Vogel. Von wegen. Auch dort gab es Regeln, wie überall. Lynn stand jetzt seiner Ansicht nach zu nah am Abgrund.
    Geoff sagte nichts. Er spürte auch nichts. Verwundert warer schon, aber das würde sich legen. Er ging wieder los, ohne sich darum zu kümmern, ob sie ihm folgte oder nicht. Noch weitere 800 Meter auf dieser Höhe, dann ein recht steiler Abstieg zurück nach Calver. Er machte sich gerade Gedanken über die Arbeit der kommenden Woche, als er sie schreien hörte.
    Er rannte zurück, sein Rucksack hüpfte, und in seiner Flasche gluckste das Wasser.
    »Herrgott, bist du okay? Ist es der Fuß? Ich hätte dich warnen sollen vor den Kaninchenbauen.«
    Doch sie sah ihn nur an, ausdruckslos. Schock, wahrscheinlich.
    »Bist du verletzt?«
    »Nein.«
    »Hast du den Knöchel verstaucht?«
    »Nein.«
    Er sah auf ihre Brasher Supalites hinab: Adlerfarn hatte sich in den Ösen verfangen, und dass er sie am Morgen noch poliert hatte, war nicht mehr zu sehen. »Entschuldige – das versteh ich nicht.«
    »Was?«
    »Warum du geschrien hast.«
    »Weil mir danach war.«
    Ah, da fehlten mal wieder die Wegmarken. »Und … warum war dir danach?«
    »Einfach so.«
    Nein, das hatte er falsch gehört oder missverstanden oder was. »Hör zu, es tut mir leid, vielleicht habe ich dir eine zu harte Wanderung –«
    »Mir geht’s gut, hab ich doch gesagt.«
    »War es, weil –«
    »Ich hab’s dir gesagt: Mir war einfach danach.«
    Sie ließen den Gritgrat hinter sich und gingen schweigendhinunter zum Wagen. Als er seine Schnürsenkel löste, zündete sie sich eine

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