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Unbefugtes Betreten

Unbefugtes Betreten

Titel: Unbefugtes Betreten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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    »Tony, jetzt reicht’s.«
    »Ich wusste gar nicht, dass die Geigen hatten im alten Rom.«
    »Joanna, endlich sagt’s mal eine.«
    »Ist Stradivarius nicht ein alter römischer Name? Klingt doch irgendwie so.«
    »Ist es nicht erstaunlich, wie viel wir nicht wissen?«
    »Oder wie viel wir wissen, doch wie wenig wir glauben.«
    »Wer war das noch mal, der sagte, er habe starke Überzeugungen, die er nur schwach verfechte?«
    »Ich muss passen.«
    »Ich weiß es auch nicht. Es ist mir nur eben wieder eingefallen.«
    »Wisst ihr, dass unsere Stadtverwaltung Recyclingschnüffler einsetzt? Man stelle sich vor!«
    »Eben das fällt mir schwer. Was tun die denn?«
    »Die kommen und schauen sich deine Recyclingtonnen an, ob du auch genug von irgendwas recycelst …«
    »Die kommen zu dir nach Hause? Die Drecksäcke würde ich wegen Hausfriedensbruchs verklagen.«
    »… und wenn sie finden, du hast, was weiß ich, nicht genug Konservendosen recycelt, dann stecken sie dir ein Flugblattin den Briefkasten, wo draufsteht, du sollst dich am Riemen reißen.«
    »Verdammte Frechheit. Warum geben die das Geld nicht für was Besseres aus, mehr Krankenschwestern oder so?«
    »So weit kommt es dann im apokalyptischen Großbritannien: Dass dir Schnüffler die Haustür einrennen, um zu schauen, ob du den Fernseher auf Stand-by hast.«
    »In unseren Recyclingtonnen würden die nicht viele Konservendosen finden, weil wir kaum welche kaufen. Da ist meistens sowieso zu viel Salz und Konservierungsstoffe und solches Zeug drin.«
    »Tja, wenn die Schnüffler dich erst mal in die Mangel genommen haben, wirst du Konserven kaufen und den Inhalt wegkippen, bloß damit du auf die Recyclingquote kommst.«
    »Könnten sie diese Schnüffler nicht durch weitere Überwachungskameras ersetzen?«
    »Kommen wir nicht etwas vom Thema ab?«
    »Erstaunt dich das?«
    »Stradivari.«
    »Wie bitte?«
    »Stradivari hieß der Geigenbauer, seine Geigen hingegen Stradivarius, zumindest im englischsprachigen Raum.«
    »Von mir aus gern, von Herzen gern.«
    »Als ich jung war, hasste ich es, dass die Welt von alten Knackern regiert wurde, die nicht mitbekamen, was Sache war, sondern im Siff der Historie feststeckten. Heute sind die Politiker alle so verflucht jung, dass sie auf eine andere Art nicht mitbekommen, was Sache ist, und das erfüllt mich weniger mit Hass als mit Angst, weil sie die Welt nie und nimmer kapiert haben können.«
    »Als ich jung war, mochte ich kurze Bücher. Jetzt, da ich älterbin und mir weniger Zeit bleibt, stelle ich fest, dass mir lange Bücher lieber sind. Kann mir das jemand erklären?«
    »Das ist das Tier in dir. Ein Teil von dir macht sich und dir vor, dir bleibe mehr Zeit, als dir tatsächlich bleibt.«
    »Als ich jung war und klassische Musik zu hören anfing, mochte ich die schnellen Sätze gern, während mich die langsamen langweilten und ich kaum abwarten konnte, bis sie endlich vorbei waren. Jetzt ist es umgekehrt. Jetzt mag ich die langsamen Sätze lieber.«
    »Das hat vermutlich damit zu tun, dass das Blut langsamer fließt.«
    »Fließt das Blut tatsächlich langsamer? Das wüsste ich gern.«
    »Wenn nicht, dann sollte es das jedenfalls.«
    »Schon wieder etwas, was wir nicht wissen.«
    »Wenn es nicht langsamer fließt, tut es das immerhin metaphorisch, und insofern stimmt es dann eben doch.«
    »Ich wünschte mir, die Klimaerwärmung wäre auch nur eine metaphorische.«
    »Die langsameren Sätze sind ergreifender. Das ist es. Die anderen sind lauter, aufregender, sind Einleitungen oder Abschlüsse. Langsame Sätze hingegen sind pure Emotion. Die sind elegisch, es geht um das Vergehen der Zeit, um unvermeidliche Verluste – das macht die langsamen Sätze aus.«
    »Weiß Phil eigentlich, wovon er redet?«
    »Um diese Zeit am Abend weiß ich immer, wovon ich rede.«
    »Aber wieso sollten wir uns jetzt eher ergreifen lassen? Sind unsere Gefühle tiefer geworden?«
    »Damals haben dich die schnellen Sätze erregt und begeistert.«
    »Willstdu damit sagen, wir haben immer gleich viele Gefühle, aber je nach Phase ergießen sie sich eher in diese oder in jene Richtung?«
    »Vielleicht.«
    »Aber die heftigsten Gefühle haben wir doch bestimmt empfunden, als wir jung waren: als wir uns verliebten, heirateten, Kinder kriegten.«
    »Vielleicht halten sie jetzt dafür länger an.«
    »Oder andere haben überhandgenommen: Verlust, Reue, das Gefühl, es gehe dem Ende zu.«
    »Sei nicht so trübselig. Warte, bis du Enkel hast.

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