Unbefugtes Betreten
heute.«
»›Was hat die Nachwelt je für mich getan?‹, wie jemand so schön gesagt hat.«
»Aber die Politiker wissen, dass den meisten Wählerinnen und Wählern die folgenden Generationen am Herzen liegen. Und die meisten Politiker haben selbst Kinder.«
»Ich glaube, der Haken dabei ist folgender: Auch wenn wir uns darauf einigen, dass Eigennutz eine wichtige Antriebskraft ist, gibt es da eine Kluft zwischen dem, was wirklich in unserem eigenen Interesse ist, und dem, wovon wir dies nur glauben.«
»Sowie zwischen langfristigem und kurzfristigem Eigennutz.«
»War das nicht Keynes?«
»Was war er nicht?«
»Stammt der Satz über die Nachwelt nicht von ihm?«
»In der Regel von ihm oder Oliver Wendell Holmes, Judge Learned Hand oder Nubar Gulbenkian.«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, von wem oder wovon hier die Rede ist.«
»Habt ihr gesehen, dass französische Champagnerherstellersich überlegen, nach England umzuziehen, weil es in Frankreich bald zu warm werden könnte für ihre Trauben?«
»Na ja, zur Zeit der alten Römer …«
»… gab es Weinberge am Hadrianswall. Damit kommst du uns immer wieder, du weinerlicher Mensch.«
»Weinerlich? Ach so, Witz, Witz. Doch ich komme deshalb darauf zurück, weil es vielleicht ein Anzeichen dafür ist, dass es in der Natur Zyklen gibt, die sich wiederholen.«
»Das große Recycling der Natur.«
»Schön wär’s. Habt ihr neulich in der Zeitung diese Landkarte zum Treibhauseffekt gesehen? Da stand, eine Erhöhung um vier Grad hätte katastrophale Folgen: in Afrika fast überall kein Wasser mehr, Wirbelstürme, Epidemien, der Meeresspiegel steigt, die Niederlande und der Südosten Englands werden überflutet.«
»Kann man nicht erwarten, dass den Holländern was einfällt? Immerhin haben sie das schon mal geschafft.«
»Von was für Zeiträumen ist hier eigentlich die Rede?«
»Wenn wir uns jetzt nicht einig werden, steigt die Temperatur bis 2060 um vier Grad.«
»Aha.«
»Auf die Gefahr hin, dass ihr mir gleich eine in die Fresse haut, aber es gibt Momente, da finde ich, es hat durchaus seinen Reiz, der letzten Generation anzugehören.«
»Welcher letzten Generation?«
»Der letzten Generation, die noch mit lateinischen Sprüchen um sich schmeißt. Sunt lacrimae rerum .«
»Also wenn man sich die Gattung Mensch und deren historische Verdienste anschaut, kann es durchaus sein, dass wir diesmal nicht davonkommen. Dann wären wir die letzteGeneration, die wirklich unbekümmert war und keine echten Sorgen hatte.«
»Wie kannst du so was sagen? Was ist denn mit 9/11, dem Terrorismus, Aids und …«
»… der Schweinegrippe?«
»Schon, aber das sind alles lokal begrenzte und langfristig betrachtet nicht so wichtige Dinge.«
»Langfristig betrachtet sind wir alle tot. Das war jetzt tatsächlich von Keynes.«
»Und was ist mit schmutzigen Bomben und einem möglichen Atomkrieg im Nahen Osten?«
»Alles lokal begrenzt. Was ich meine, ist dieses Gefühl, dass alles außer Kontrolle geraten ist, es für alles zu spät ist und wir nichts mehr unternehmen können …«
»Dass wir längst über den Punkt hinaus sind, wo die Sache noch auf der Kippe stand.«
»… und während die Menschen früher vorausblickten und mit einem Aufstieg der Zivilisation rechneten, der Entdeckung neuer Kontinente und der Entschlüsselung der Rätsel des Universums, sehen wir nur kommen, dass alles umschlägt und im großen Stil den Bach runtergeht, dass der homo dem homini wieder zum lupus wird. Und wie es begonnen hat, so wird es dereinst auch enden.«
»Du liebes bisschen, du bist aber wirklich in einer apokalyptischen Stimmung.«
»Du hingegen hast von einem ›eigenen Reiz‹ gesprochen. Was ist reizvoll daran, dass die Welt kaputtgeht?«
»Dass du, dass wir sie gehabt haben, bevor sie kaputtging oder bevor wir kapiert haben, dass sie kaputtgehen werde. Wir sind wie diese Generation, die die Welt vor 1914 kannte, aber das Ganze hoch tausend. Ab jetzt geht es nur noch um einen – wie nennt man das – kontrollierten Niedergang.«
»Ihrrecycelt also nicht?«
»Doch, natürlich tun wir das. Ich bin ein braver Junge wie alle anderen. Aber ich kann auch Nero nachvollziehen. Warum nicht fiedeln, wenn Rom brennt?«
»Glauben wir diese Geschichte? Ist das nicht wie eines dieser berühmten Zitate, die dann doch von niemandem stammen?«
»Stimmt das? Gibt es nicht Augenzeugenberichte von Neros Gefiedel? Steht das nicht bei Sueton?«
» Res ipsa loquitur
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