Unbekannt verzogen: Roman
Lautstärke aufzudrehen und enttäuscht feststellen zu müssen, dass er überhaupt nichts verpasst.
Er wirft einen Blick auf Gloria, deren Augen im Schein eines Waschmittelwerbespots leuchten.
»Ich muss stark sein, darauf kommt es an. In der letzten Woche war ich ja überhaupt nicht zu gebrauchen. Für mich nicht und für Connie auch nicht.« Sie sehen sich den nächsten Werbespot an. Eine Frau im weißen Kittel gießt aus großen Messbechern eine Flüssigkeit auf Damenbinden. Ohne den Ton sind Sinn und Zweck der Aktion kaum zu ergründen. Trotzdem macht die junge Frau am Ende der Werbung ein zufriedenes Gesicht.
»Was für ein Quatsch. Mit einem Viertelliter Wasser im Schlüpfer würde die doch nie im Leben hinter dem Bus herrennen. Davon kann man nämlich ein Windelekzem kriegen, auch noch in ihrem Alter.«
Dabei muss er aus irgendeinem Grund wieder an Connie denken.
»Sie braucht einen starken Mann in ihrem Leben. Das steht schon mal fest.« Als er Gloria ansieht, ob sie ihm beipflichtet, hockt sie mit geschlossenen Augen da. Offensichtlich sind das Fernsehprogramm und sein Selbstgespräch zu langweilig für sie.
Instinktiv senkt er die Stimme. »Ich weiß ja selber, dass ich nicht der ideale Kandidat für diese Aufgabe bin, aber alles ist relativ. Für eine junge Frau wie Connie bin ich immer noch gut genug. Nach allem, was sie sich im Leben geleistet hat, bin ich praktisch Clark Gable.«
25
Keine Bange, ich werde nicht wieder ausfällig. Letztes Mal war ich nicht ganz bei Trost (beziehungsweise sehr betrunken). Dafür möchte ich mich entschuldigen. Ich hatte an dem Tag meine Eltern besucht. Wenn Du meine Mutter kennen würdest, bräuchte ich nicht weiter ins Detail zu gehen. Sie gehört zu der Sorte Frau, die sogar einen Heiligen in einen gewalttätigen Säufer verwandeln kann. Mein Vater war immer der ruhende Pol in unserer Familie, was eigentlich ein Witz ist, weil er nämlich Alkoholiker war, aber jetzt ist er gelähmt, und sein Leben ist im Arsch. (Ich finde, besser kann man das nicht ausdrücken.)
Natürlich könnte ich meiner Mutter auch einfach aus dem Weg gehen, aber früher oder später regt sich doch immer das schlechte Gewissen, und dann denke ich mir, dass der nächste Besuch bestimmt besser wird. Berühmte letzte Worte.
Es hilft auch nicht gerade, dass ich mir einrede, es wäre meine Schuld, dass meine Mutter die Persönlichkeit einer Giftmülldeponie hat und mein Vater im Rollstuhl dahinvegetiert. Schuldbeladen wie ich bin, ist es ein Wunder, dass ich es damals beim Wodka belassen habe – wobei das wahrscheinlich mehr über meinen Supermarkt aussagt als über mich. Will sagen, wenn der Laden Heroin und Crystal Meth im Sortiment hätte, wäre der Abend vielleicht ein bisschen anders verlaufen (Du kannst Dir sicher vorstellen, wie toll sich das anfühlt, so einen Satz mit achtunddreißig Jahren von sich zu geben. Mein Leben ist eine einzige Erfolgsgeschichte!)
Weißt Du was? Ich glaube, ich gebe Dir einen Namen. Nachdem ich mich nun schon mal in Unkosten gestürzt und dieses schicke Briefpapier gekauft habe (hoffentlich bist Du beeindruckt), wäre es eine Schande, Dich nicht mit Namen anzusprechen.
Ein bisschen komme ich mir dabei wieder vor wie eine junge Mutter, die versucht, für ihr Kind einen Namen auszusuchen, wegen dem es nicht zusammengeschlagen wird oder bis an sein Lebensende keineFreunde findet. Meine Eltern haben auf diesem Gebiet auch nicht gerade Grandioses geleistet. Weißt du, wie sie mich genannt haben? (Ich weiß schon, dass ich Dir meinen Namen eigentlich nicht verraten dürfte, aber das ist mir jetzt auch schon egal. Darum schreibe ich doch gerade diese Briefe: Es ist der Reiz der Gefahr.) … also dann, Tusch, trara: Sie haben mich Carol genannt! Carol, nicht zu fassen. Wenn der Carol-Song nicht irgendwo in einer Endlosschleife läuft, dann … ich weiß auch nicht … für mich klingt der Name ein bisschen nach einer Klopapiermarke. Oder nach irgendwas aus dem Reformhaus: »Ein Löffel Carol zwischen den Mahlzeiten reicht, und Ihre Verdauung kommt wieder in Schwung.«
Zurück zu Dir. Ich finde, Du solltest einen solide klingenden Namen haben, wie Edward oder Charles. Aber die mag ich leider nicht, sorry. Robert wäre natürlich auch ein halbwegs solider Name, aber den kann ich aus persönlichen Gründen nicht nehmen. Mir gefällt Toby. Harry ist auch schön. Aber bevor Du jetzt denkst, dass ich eine Vorliebe für Namen habe, die auf Y enden … Jimmy finde ich
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