Unberuehrbar
erneutes Krachen die Luft.
Das Feuer erstarrte. Die Flammen standen still, wie eingefroren. Auch die rotgrauen Schlieren hielten in ihrer stetigen Bewegung inne. Es war, als blicke Hannah auf eine surreale Fotografie – die im nächsten Moment zerbarst. Lautlos fielen die Scherben der Illusion zu Boden. Selbst das Feuer, der grässlich entstellte Anblick ihres Arms und der Gestank verbrannten Fleisches zerbröckelten und lösten sich noch im Fallen auf. Hannah stolperte nach vorn und rang keuchend nach Atem.
Vertraute, staubige Stille füllte ihre Lungen. Zu ihren Füßen erklang ein dumpfes Stöhnen, und als Hannah nach unten sah, erkannte sie eine Gestalt. Eloy.
In der Hand hielt er den Revolver, der Hannah aus den Fingern gefallen sein musste und dessen rauchende Mündung nun auf Carina Braun gerichtet war. Noch einmal krachte es. Wieder und wieder. Fünf Schuss. Jeder einzelne traf zielsicher in Hals, Augen und Herz der Vampirin, ehe sie zu Boden stürzte. Hannah konnte ihr Gesicht nicht sehen. Aber sie atmete nicht, so viel erkannte sie.
BRA-47. Es setzte Vampire außer Gefecht. Alle Vampire. Und zu viel davon war tödlich – vielleicht. Das hatte Kris gesagt, aber er hatte es nie bestätigt. Im Augenblick war es gleichgültig. Frau Braun jedenfalls rührte sich nicht mehr.
Hannah fiel neben Eloy auf die Knie. Sein Shirt war schmutzig, und über seine Wange lief ein tiefer Kratzer – aber es war keine Schusswunde zu sehen. Nicht einmal ein Streifschuss. Seine hellen Augen glühten selbst in der Dunkelheit.
»Es tut mir leid«, flüsterte Hannah. »Ich dachte … ich hätte dir vertrauen sollen.«
Eloy hob die Hand und legte sie an ihre Lippen. »Ist schon gut«, murmelte er rau. »Ich bin nur froh, dass du nicht getrunkenhast. Er … hat mich vergiftet, um dir zu schaden. Du wirst eine ganze Weile nicht von mir trinken können.« Ein Lächeln verzerrte sein Gesicht. »Wenigstens habe ich es bewiesen, nicht wahr? Dass ich auf deiner Seite bin.«
Hannah schluckte mühsam. »Ich heile dich. Ich kriege dich wieder hin!«
Eloys Lächeln wurde ein wenig breiter. »Ruhig, Hannah. Ich sterbe nicht. Das würde er niemals tun. Ich bin erschöpft, das ist alles. Kümmere dich lieber darum … dass er nicht wiederkommt.«
Hannah biss sich auf die Unterlippe. Er hatte recht, dachte sie. Monsieur de la Rivière würde seinen kostbaren Menschen niemals töten. Und er würde ihn auch nicht aufgeben. Es sei denn, man zwang ihn dazu.
Eloy berührte ihr Knie. Mit einem weiteren Lächeln hielt er ihr den Revolver entgegen. »Friedrich hat Munition. Und eine zweite Waffe. Ich warte hier auf dich.«
Hannah presste die Lippen zusammen. Dann nickte sie und griff nach der Waffe. »Ich bin gleich zurück.«
Sie richtete sich auf und warf einen letzten Blick auf den Menschen, der sie gerettet hatte.
Dann sprang sie mit einem Satz auf die Galerie.
Kapitel Neunzehn
Insomniac Mansion, Kenneth, Missouri
Viel zu spät fiel Frei ein, dass es dumm war, zu schreien, während unten im Haus Hannahs »militante Bluterhasser« warteten. Kris war verschwunden und mit ihm der stumpfe Schmerz. Aber der Abdruck, den der mentale Dorn hinterlassen hatte, hatte sich tief in ihren Geist geprägt, und auch die unsichtbare Schlinge lag noch immer unverrückbar an ihrem Platz. Frei kauerte sich auf dem Boden unter dem Fenster zusammen und presste die Hand auf den Mund, um die erstickten Laute zu unterdrücken, die ihr Magen noch immer zuckend heraufwürgen wollte. Sie hörte aufgeregte Stimmen und ein Krachen, dann ein zweites. Schüsse. Dann erklangen die raschen, nahezu lautlosen Schritte eines Vampirs auf der Galerie, und Frei stolperte auf die Füße – im gleichen Moment, als die Tür aufschwang.
Ein hochgewachsener Vampir erschien auf der Schwelle. Die dunklen Haare trug er streng aus dem Gesicht zurückgekämmt. Bei Freis Anblick malte sich Überraschung auf seinen Zügen.
»Eine Bluterin?« Er kniff die Augen zusammen, als könne er nicht glauben, was er sah.
Frei rappelte sich auf und warf einen hastigen Blick über die Schulter zum Fenster. Der Fluchtweg durch die Tür war versperrt, aber sie konnte nach draußen springen, vermutlich ohne sich zu sehr dabei zu verletzen. Aber sie wusste nicht, wie viele Vampire noch dort unten waren – oder Menschen, die auf sie schießen würden. Menschen, die sie töten konnten. Frei ballte die Fäuste. Sie musste es riskieren.
»Na, na, Mademoiselle. Wo willst du denn hin?«
Frei
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