Unbescholten: Thriller (German Edition)
alles Licht aus seinem Universum schluckte. Lars erhob sich auf wackligen Beinen und legte einen Zufallsmix aus Tabletten nach. Das schwarze Loch verschwand, und das Leben wurde wieder erträglicher.
Als Lars einigermaßen klar war, fuhr er nach Stocksund. Alle Radiosender spielten gute Musik, er wippte dazu im Takt mit dem Fuß. Nachdem er geparkt hatte, setzte er den Kopfhörer auf, machte es sich auf dem Autositz bequem und hörte Sophie zu. Er lauschte, wie sie in der Wohnung herumlief, wie sie kochte, mit ihrer Freundin Clara telefonierte und über etwas im Fernsehen lachte.
Gegen halb eins in der Nacht nahm Lars den Kopfhörer ab, setzte sich eine dunkle Mütze auf, öffnete vorsichtig die Autotür und ging zu ihrem Haus.
Er lief über den Asphalt, schlich sich in Sophies Garten und betrat lautlos die Veranda.
Er benutzte wieder den Dietrich, drückte vorsichtig die Klinke der Terrassentür herunter und öffnete geräuschlos die Tür.
Dann stand er im Wohnzimmer. Er lauschte, hörte aber nur seinen eigenen Puls. Langsam und vorsichtig ging er die Treppe zum ersten Stock hinauf. Die Holzstufen knarrten leise. Ein Auto fuhr draußen auf der Straße vorbei. Die Tür zu ihrem Schlafzimmer war angelehnt. Lars stand ganz still, atmete langsam und gleichmäßig, und als sein Atem wieder normal ging, machte er einen Schritt auf den weichen Teppich. Ein feiner Geruch schlug ihm entgegen, dünn und schwach, als schwebte er im Raum wie unsichtbare Seide. Sophie. Da lag sie, wie einer Phantasie entsprungen, auf dem Rücken, den Kopf ein wenig schräg auf dem Kissen. Das Haar umrahmte ihr Gesicht, ihr Mund war geschlossen, und ihr Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig. Die Decke hatte sie bis zum Bauch hochgezogen, sie trug ein Nachthemd aus Spitze. Sein Blick folgte den Konturen ihrer Brüste. Sie war so schön. Er wollte sie wecken und es ihr sagen: Du bist so schön. Er wollte sich neben sie legen, sie in die Arme schließen und sagen, dass alles gut sei. Sie würde verstehen, was er meinte.
Vorsichtig holte er die Kamera heraus, schaltete Blitz und Ton aus und richtete das Objektiv auf sie. Leise machte er etwa dreißig Porträts von der schlafenden Sophie.
Sie bewegte sich und gab einen Laut von sich. Lars ging langsam rückwärts und verließ lautlos das Zimmer.
Als er sich wieder ins Auto setzte, war er vollkommen außer Atem. Er hatte das Gefühl, mit ihr geschlafen zu haben. Er fühlte sich stark, sicher und glücklich. Er wusste, dass sie das Gleiche empfand. Sie musste ihn im Schlaf gespürt haben, in ihrem Traum. Selbstverständlich war es so. Er war ihr rettender Engel, von dem sie nichts wusste, der sie liebte, während sie schlief, und der sie gegen das Böse beschützte, wenn sie wach war. Er nahm noch ein paar Tabletten, die Umgebung färbte sich in einem anderen Ton, seine Zunge fühlte sich dick an, die Geräusche vermischten sich und wurden breiig.
Lars fuhr langsam Richtung Stadt zurück und kam am Naturhistorischen Museum vorbei, das im bleichen Licht der Straßenlaternen lag. Er sah einen großen Pinguin, der ihn fragend anschaute.
––––––––
Sophie hatte Albträume gehabt. Was darin vorgekommen war, wusste sie nicht mehr, aber sie erwachte mit einem Gefühl von Unbehagen. Sie stand auf, sie hatte viel zu lang geschlafen. Von unten hörte sie den Staubsauger.
Es war lange her, seit sie Dorota zum letzten Mal gesehen hatte. Sie putzte meistens, wenn Sophie im Krankenhaus war. Aber heute hatte Sophie frei und freute sich, Dorota zu sehen. Dorota war nett, sie mochte sie.
Dorota winkte ihr vom Wohnzimmer aus zu. Sophie lächelte zurück und ging in die Küche, um sich Frühstück zu machen.
»Ich kann dich nachher fahren«, rief sie.
Dorota machte den Staubsauger aus. »Was hast du gesagt?«
»Ich kann dich später nach Hause fahren, Dorota.«
Dorota schüttelte den Kopf. »Das brauchst du nicht, ich wohne so weit weg.«
»Nein, tust du nicht. Du sagst das nur immer.«
Dorota saß mit der Handtasche auf dem Schoß neben ihr. Sie waren über die Stocksundbro gefahren und bogen nun auf den Bergshamraleden ab.
»Du bist so still, Dorota. Ist alles in Ordnung mit deinen Kindern?«
»Alles gut, den Kindern geht es gut. Ich vermisse sie, aber es geht ihnen gut.«
Sie fuhren eine Weile schweigend.
»Vielleicht bin ich müde«, sagte Dorota und sah aus dem Fenster.
»Du kannst dir freinehmen, wenn du willst.«
Dorota schüttelte den Kopf. »Nein, die Arbeit macht mir
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