Und am Ende siegt die Liebe
diesem Abend wurde sie nicht von einer freundlichen Wirtin im Rasthaus in Empfang genommen, sondern von einem quengeligen alten Mann, der ihr ein zähes Bratenstück und halb rohe Kartoffeln zum Abendbrot vorsetzte. Niedergeschlagen und erschöpft stieg sie hinauf in das Schlafzimmer, das sie mit zehn anderen weiblichen Personen teilen mußte.
Noch vor Sonnenaufgang erwachte sie und begann leise vor sich hinzuweinen. Als die Kutsche zur Abfahrt bereitstand, hatte sie Kopfschmerzen und geschwollene Augen.
Die vier Passagiere, die auch in der Kutsche reisten, versuchten, mit ihr ins Gespräch zu kommen; doch sie vermochte deren Fragen nur mit einem Nicken zu beantworten. War sie nur von Travis weggerannt, um ihm zu beweisen, daß sie zu einer selbständigen Handlung fähig war? Oder hatte sie wirklich geglaubt, daß er Margo zur Frau haben wolle?
Sie hatte keine klaren Antworten für ihre Fragen und fuhr, bei jeder Endstation die Kutsche wechselnd, ziellos ins Blaue hinein. Sie ließ die Landschaft vor ihren Augen vorüberziehen und weder eine mangelhafte Kost noch schlechte Betten vermochten sie aus ihrer stoischen Ruhe zu bringen.
Sichtlich benommen stieg sie eines Nachmittags vor der kargen Kulisse einer kleinen Ortschaft, die nur aus einer Handvoll von Häusern bestand, aus der Fahrgastkabine.
»Das ist das Ende der Strecke, Lady«, sagte der Kutscher, der ihr die Trittleiter hinunterhalf.
»Wie bitte?«
»Endstation«, wiederholte der Kutscher geduldig. Er hatte bemerkt, daß die junge Dame zwei Tage lang nur stumpfsinnig vor sich hingestarrt hatte. Vielleicht war sie nicht ganz richtig im Kopf? »Die Kutschlinien enden hier. Hinter Scarlet Springs gibt es nur noch von Indianern bewohntes Gebiet. Wenn Sie von hier aus Weiterreisen wollen, müssen Sie sich einen Prärieschoner mieten.«
»Könnte ich denn hier ein Zimmer bekommen?«
»Das hier ist nicht mal ’ne richtige Ortschaft, Lady. Hier gibt es keine Unterkunft zu mieten. Sie können entweder weiterfahren oder wieder umkehren; nur bleiben können Sie hier nicht.«
Umkehren? Sie konnte doch unmöglich zu Travis und seiner Mätresse zurückfahren!
Da ließ sich hinter ihr eine Frauenstimme vernehmen: »Ich hab’ ein Zimmer. Sie kann bei mir bleiben, bis sie weiß, was sie will.«
Regan drehte sich um und sah eine gedrungene, üppig gebaute junge Frau mit honigblonden Haaren und großen blauen Augen vor sich stehen.
»Ich heiße Brandy Dutton«, sagte die Üppige, »und habe ein Stück weiter die Straße hinunter ein Farmhaus. Möchten Sie bei mir unterkommen?«
»Ja«, sagte Regan leise. »Ich kann Sie dafür auch bezahlen.«
»Machen Sie sich deswegen mal jetzt keine Sorgen.« Brandy nahm Regans Reisetasche und führte sie die Straße hinunter.
»Wie ich Sie dort stehen sah — so klein und verloren —, fühlte ich mich gleich zu Ihnen hingezogen«, sagte Brandy. »Genauso muß ich selbst vor drei Monaten ausgesehen haben. Damals waren mir beide Eltern gestorben, wissen Sie? Sie haben mir bis auf ein altes, baufälliges Bauernhaus nichts hinterlassen. Da sind wir schon!«
Sie führte Regan in ein roh gezimmertes, heruntergekommenes zweistöckiges Haus. »Setzen Sie sich erst mal hin. Ich koche Ihnen inzwischen einen Kaffee. Wie heißen Sie eigentlich?«
»Regan Stanford«, sagte Regan, ohne lange nachzudenken, und zuckte mit den Schultern. Warum sollte sie noch länger Versteck spielen? Travis hatte offensichtlich nicht die Absicht, sie in sein Haus zurückzuholen.
Regan schlürfte den heißen Kaffee, obwohl er ihr nicht sonderlich gut schmeckte. Aber er half, ihre Lebensgeister wieder zu erwecken, wenn sie auch spürte, daß ihr gleich wieder die Augen naß werden wollten.
»Sie sehen mir ganz danach aus, als hätten Sie auch an einem Päckchen zu tragen«, sagte Brandy, während sie von einem Kuchen ein Stück abschnitt und es Regan in die Hand drückte.
Erst ein Mann, der sie heiraten wollte, obwohl er sie im Grunde verabscheute; dann ein Onkel, der sie haßte; schließlich ein zweiter Mann, der sie lediglich des Kindes wegen geheiratet hatte, das sie unter dem Herzen trug — da konnte sie Brandys Vermutung nur mit einem Nicken bestätigen.
Während Regan ihren Kuchen zerkrümelte, sah Brandy sie mitleidig an und fragte dann, ob Regan sich vielleicht lieber erst mal ausruhen wollte. Sobald Regan allein in dem kleinen Schlafzimmer war, ließ sie ihren Tränen freien Lauf. So bitterlich hatte sie bisher noch nie geweint.
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