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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minka Pradelski
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Besteckkasten öffne, um unseren letzten Abend im Hotelzimmer festlicher zu gestalten. Ich zünde eine Hotelkerze an, poliere das angelaufene Silberbesteck, staube die gelblichen Griffe ab. Sichtlich geschwächt sitzt Frau Kugelmann am Tisch, quält sich mit jedem Bissen. Plötzlich hält sie inne, hält ein Fischmesser weit von sich und starrt angestrengt auf die eingelassene Gravur. Sie zuckt zusammen.
    »Wie kommt dieses Besteck hierher?«
    »Kennen Sie es?«, frage ich sie erschrocken.
    »Ich will von Ihnen wissen, woher Sie es haben.«
    »Ich habe es von meiner Tante Halina geerbt«, sage ich stolz.
    »Ihre Tante hieß Halina?«
    »Ja.«
    »Gonna hat ihr dieses Fischbesteck nach Palästina mitgebracht. Ich war dabei, als die Mutter das Fischbesteck in Gonnas Reisetasche einpackte.«
    »Dieses Fischbesteck, sind Sie sich da sicher?«
    »Ja. Ich kann mich noch genau an die Perlmuttgriffe mit den eingravierten Fischen erinnern.«
    »Warum ausgerechnet ein Fischbesteck von Polen nach Palästina?«, wundere ich mich.
    »Halina wohnte doch in Haifa, am Meer, es sollte eine Geste der Versöhnung sein, eine erste Annäherung der Mutter nach zwei Jahren des Schweigens.«
    »Eine Geste der Versöhnung?«
    »Halina ist mit Dolek 1937 von zu Hause ausgerissen, sie sind nach Palästina ausgewandert. Einfach davongerannt sind die beiden. Sie war damals siebzehn, ein halbes Kind noch, die Schule hat sie nicht beendet, das hat ihr Bluma sehr übel genommen. Wissen Sie das nicht?«
    »Nein, woher sollte ich. Warum gerade ein Besteck nach Palästina schicken, es gibt doch weitaus Wichtigeres für ein junges Paar als Fischgabeln und Messer?«, insistiere ich.
    »Bluma hatte das schöne Besteck zu ihrer eigenen Hochzeit bekommen. Es war ein Erbstück, ein sehr wertvolles Besteck. Nichts lag näher, als es an ihre älteste Tochter weiterzugeben. Das Fischbesteck war übrigens als Vorhut gedacht, die anderen Besteckteile sollten folgen. Dazu ist es dann nicht mehr gekommen. Haben Sie nichts davon gehört?«
    »Nein, ich habe den Namen Bluma noch nie in meiner Familie gehört, ganz zu schweigen von Ihrem Gonna.«
    »Und der Name Simi? Ist Ihnen der Name Simi bekannt?«, bohrt Frau Kugelmann.
    »Auch ein Simi wurde nie erwähnt.«
    »Sie müssen doch von Simi gehört haben. Simi alias Gonna ist Halinas Bruder! Ist Halina überhaupt Ihre Tante?«
    »Ja, selbstverständlich«, sage ich verärgert, »sie ist die Schwester meines Vaters.«
    »Wenn sie Ihre Tante ist, dann sind Sie doch mit Gonna verwandt, vielleicht sogar seine Tochter . . .«
    »Ich Gonnas Tochter? Wie kommen Sie denn darauf? Was habe ich mit Bendzin zu tun. Mein Vater stammt aus Kalisz.«
    »Wie nannte sich Ihr Vater?«
    »Mein Vater hieß Max Silberberg und wurde Meir genannt. Gonna kann also gar nicht mein Vater sein.«
    »Warten Sie mal«, sagt sie langsam und gedehnt, »Meir, ja, Meir Elisier Silberberg. Der Name stand in großen Buchstaben über dem Lebensmittelgeschäft bei der Fabrik. Ich erinnere mich ganz genau. Ich ging oft daran vorbei. Es war der Name von Gonnas Großvater. Vermutlich hat Gonna seinen Namen angenommen, als er zurück nach Europa fuhr.«
    Es gibt unendlich viele Fischgabeln und Fischmesser auf dieser Welt. Jedes Restaurant, das etwas auf sich hält, besitzt Fischbestecke. Ziselierte, verchromte, versilberte, vergoldete Fischbestecke. Jede fünfte Familie in Israel deckt am Freitagabend den Tisch mit einem Fischbesteck für das traditionelle Fischgericht. Warum um Himmels willen soll ich wegen eines Fischbestecks einen Gonna aus Bendzin zum Vater haben?
    »Man hat nach dem Krieg oft den Namen gewechselt. Nichts von früher stimmte mehr. Manch einer hat mit den Papieren eines anderen überlebt und den rettenden Namen beibehalten. Andere haben den Namen ihrer Ehefrau angenommen, um ein neues Leben zu beginnen. Wieder andere haben ihr Geburtsdatum um fünf Jahre verjüngt, in der Hoffnung, die geraubten Jahre auszutilgen.«
    »Ist es ihnen gelungen?«, frage ich zweifelnd.
    »Nein, aber es hat eine Erleichterung gebracht. Man war nicht mehr ganz so hilflos und ausgeliefert.«
    »Und dieser Gonna, wessen Geburtsort hat er übernommen?«, frage ich weiter.
    »Sein Großvater Elisier stammte aus Kalisz.«
    »Was wollte er denn mit Kalisz?«
    »Als Adam, die Polin und ich 1948 mit dem Flüchtlingsschiff in Haifa ankamen, stand er am Hafen, um uns abzuholen. Er ist in sich zusammengesunken, als er hörte, dass Kotek nicht mehr am Leben war. Wir

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