Und dann der Himmel
Eltern zu kitten. Ich schiebe ihre Zurückhaltung auf das Zerbrechen ihrer eigenen Ehe und schicke sie verärgert wieder weg.
Während meine Mutter unverdrossen und durch Rafaels Zuspruch moralisch unterstützt weiterpackt, versuche ich, meinen Vater zu überreden, sie von ihrem Vorhaben abzubringen.
Ich finde ihn im Keller, einem feuchten und kalten Raum, den Sabine und ich als Kinder immer „das Verlies“ genannt haben. Die grob gehauenen, mittelalterlichen Wände und das fahle Licht einer einzigen, nackten Glühbirne hatten unsere Fantasie angeregt und wir haben hier oft „Inquisition“ gespielt, wobei meine Schwester die Rolle des Großinquisitors übernahm und mir als kleinem Bruder die des Ketzers zuwies. Einige Male habe ich in imaginären Daumenschrauben und auf Streckbänken so überzeugend gelitten und geschrien, dass meine Eltern dachten, mir wäre tatsächlich etwas zugestoßen, und völlig panisch hinunter in den Keller rannten. Einmal allerdings, als ich versehentlich ihr Fahrrad zu Schrott gefahren hatte, machte Sabine ernst, band mich mit ihrem Springseil an einem Heizungsrohr fest, drehte die Glühbirne mit einem hämischen Lächeln aus der Fassung und ließ mich fünf Stunden im stockdusteren Keller sitzen. Kein Wunder, dass ich mit S/M-Spielchen nichts anfangen kann.
„Du kannst Mutter doch nicht so einfach gehen lassen!“ fahre ich jetzt meinen Vater an, der in aller Gemütsruhe damit beschäftigt ist, Werkzeug zu sortieren. „Sie ist deine Frau!“
„Sie ist alt genug. Sie wird wissen, was sie tut“, erhalte ich zur Antwort.
Für einen Moment bin ich sprachlos und lasse mich auf einen leeren Bierkasten plumpsen. „Und es macht dir überhaupt nichts aus, dass sie dich verlassen will?“
Mein Vater schaut kurz auf und ich kann die Traurigkeit in seinen Augen aufblitzen sehen. „Was stellst du nur für dumme Fragen“, sagt er leise und wendet sich seinen Schraubenschlüsseln und Zangen zu.
„Dann tu was!“ rufe ich aufgebracht. „Rede noch mal mit ihr, versuch, sie umzustimmen, geh von mir aus vor ihr auf die Knie!“
Seufzend dreht sich mein Vater zu mir. „Deine Mutter und ich haben unsere Kämpfe gekämpft, Marco, und wenn sie glaubt, gehen zu müssen, so werde ich sie nicht umstimmen können. Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns an diesem Punkt befinden.“
„Ja, aber …“
„Das Thema ist damit beendet!“ erwidert mein Vater scharf. „Und um ehrlich zu sein, mein Sohn, es geht dich nicht das Geringste an!“
Danach gebe ich es auf, meine Eltern zur Vernunft zu bringen, und schlage mir die Nacht um die Ohren, indem ich literweise Kaffee in mich hineinschütte. Alle anderen ziehen sich nach und nach in ihre Betten zurück und löschen das Licht, bis ich mit der brodelnden Kaffeemaschine, einer Schachtel Zigaretten und einigen düsteren Gedanken allein in der Küche zurückbleibe.
Irgendwann, während ich in einen sternenklaren Nachthimmel starre, denke ich darüber nach, wie merkwürdig es ist, dass ausgerechnet ich in letzter Zeit immer häufiger Zweifel hege, ob ein Schlussstrich tatsächlich die beste und einzige aller Möglichkeiten darstellt, wenn man glaubt, vor den Fehlern des Partners die Augen nicht mehr verschließen zu können.
6. Der Nasensprayjunkie vom Hollywood Boulevard
Am Morgen bin ich so müde, dass ich kaum wahrnehme, wie Himmelstadt und der Turm meiner Eltern im Rückspiegel immer kleiner und schließlich vom Horizont eingeebnet werden. Wenn ich nur noch ein einziges Mal gähne, werde ich mir die Kieferknochen ausrenken.
Jemand hat mich auf den Beifahrersitz verfrachtet und mir den Hamsterkäfig auf den Schoß gesetzt, danach habe ich vage mitbekommen, dass der Motor des Autos gestartet wurde und wir wieder auf großer Fahrt sind. Also ist der nächste Tag angebrochen und der schrecklichste Urlaub meines Lebens wird fortgesetzt. Inzwischen kommt mir Lars’ Wagen wie ein zweites Zuhause vor. Ich kenne jede einzelne Sprungfeder des Sitzes, jede Macke im Lack der Tür; ich habe sogar gelernt, wie man dem Gebläse warme Luft entlockt, ohne dass es nach Fisch stinkt: Man muss Zitronenscheiben hineinquetschen. Jetzt riecht es hier drin, als würden wir eine Ladung Südfrüchte ausliefern.
Je länger wir unterwegs sind, desto häuslicher wird es im Auto. Seit wir meine Schwester und die Kinder mitnehmen, haben wir diverse Decken an Bord, in die man sich einkuscheln kann, und ein paar Kissen, um sie hinter den Nacken zu klemmen. Neben meinen
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