Und dann der Himmel
eingestehen kann, geht mit ihr auch in anderen Bereichen seines Lebens fahrlässig um.
Solange ich zurückdenken kann, wollte ich einmal in meinem Leben nach Amerika. Als Anja – die schon damals zusammen mit Patrick, Lars und mir in der WG wohnte – vor ein paar Jahren für zwei Semester ein Auslandsstipendium an der Universität von Los Angeles ergatterte, muss ich grün vor Neid geworden sein, denn sie lud mich augenzwinkernd ein, sie zu besuchen, eine Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. Im Geiste sah ich mich schon den Hollywood-Boulevard entlangflanieren, einen Platz im Hollywood Bowl bei einem Konzert von Barbra Streisand ergattern und mit Julia Roberts im Starbucks um die Ecke einen Kaffee schlürfen und über das Filmgeschäft fachsimpeln. Durch meinen Job als Synchronsprecher für Ananasdosen und Ketchupflaschen waren wir ja immerhin so was wie Kollegen. Ich kratzte also meine letzten Kröten zusammen, lieh mir noch Geld von meiner Schwester und saß ein paar Wochen später im Flieger nach L. A.
Doch wie das so ist bei lang gehegten Träumen, ihre Erfüllung hinterlässt häufig einen schalen Nachgeschmack, weil Vorstellung und Realität meist meilenweit auseinanderklaffen. Los Angeles entsprach in keinster Weise dem Bild, das ich mir gemacht hatte. Es war laut, künstlich und ohne Mietwagen war man hoffnungslos verloren. Julia Roberts wartete auch nicht sehnsüchtig im Starbucks und Anja hatte keine Zeit für mich, weil sie für Prüfungen büffeln musste. Außerdem verunsicherten mich die Blasiertheit und Arroganz, mit der die Einheimischen den Touristen begegneten, und ich versuchte, so wenig wie möglich aufzufallen.
Am letzten Tag meines Aufenthaltes besuchte ich den berühmten Boulevard, den ich bis dahin noch nicht in Augenschein genommen hatte. Ich schlenderte über die Sterne, in deren Mitte die Namen der Prominenten des Showbusiness eingraviert waren, vermutete hinter jeder dunklen Sonnenbrille eine berühmte Persönlichkeit aus dem Filmgeschäft und fühlte mich wie ein Landei, das für ein paar Tage die Provinzialität für einen kurzen Blick auf die große, weite Welt eingetauscht hatte. Immerhin, die Sonne schien, und nach einer Weile begann ich mich zu entspannen und meinen Spaziergang zu genießen.
Ich drehte mich gerade nach jemandem um, der Bruce Willis verdächtig ähnlich sah, als ich mit voller Wucht angerempelt wurde. Der Mann, in den ich hineingelaufen war, ein gut aussehender Kerl Ende zwanzig, einen Kopf kleiner als ich, unzweifelhaft schwul, mit dichten, kurz geschorenen Haaren und einem Ziegenbärtchen, verlor das Gleichgewicht und rief auf deutsch: „Mein Nasenspray! Verdammter Mist!“, während ihm ein kleines Fläschchen, das er in der Hand gehalten hatte, aus den Fingern glitt und wie in Zeitlupe in hohem Bogen durch die Luft flog und mit einem leisen, fast hämischen Klirren am Boden zerschellte, genau auf dem Stern von Walt Disney. Einen Moment lang starrte der Mann fassungslos auf die im Asphalt des Hollywood Boulevards versickernde Flüssigkeit, dann brüllte er hysterisch: „Weg da!“ und stieß mich und einen weiteren Passanten, der im Begriff war, in die Scherben zu treten, rücksichtslos zur Seite. Mit einem heiseren Schrei hechtete er der Flasche hinterher und kroch auf allen Vieren über den Bürgersteig, die Leute um sich herum vergessend und nur damit beschäftigt, aus den Glassplittern die letzten Reste des Sprays zu retten und wie eine Nase Koks hochzuziehen.
„So eine Scheiße!“ fluchte er dabei ununterbrochen. „Das war mein letztes Fläschchen!“
Fasziniert und auch ein wenig schuldbewusst blieb ich stehen. Innerhalb weniger Minuten bildete sich um Walt Disneys Stern eine kleine Menschentraube, die den Fremden und mich beobachteten, als gehörten wir zusammen. Ein älterer Mann mit dickem Schnauzbart fragte mich mit russischem Akzent: „Is this performance art?“ , ein Schweizer Ehepaar drängelte sich nach vorne, zückte eine Kamera und hielt den Moment für die Ewigkeit fest. „Jetz lueg emal die Amis aa“, sagte der Mann zu seiner Frau und sah mich und den Fremden kopfschüttelnd an, „da häts genauso viel Junkies wie daheim ze Züri!“ Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken.
Das Kerlchen mit dem Ziegenbart rappelte sich schließlich vom Boden auf, zog noch einmal die Nase hoch und starrte mich zornig an.
„It’s your fault, asshole!” fauchte er. Seine Augen funkelten wütend.
„ Sorry “,
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