Und dann der Himmel
entschuldigte ich mich für meine Unachtsamkeit und fragte dann grinsend auf Deutsch: „Kann es sein, dass du ein Drogenproblem hast?“
Der Mann hielt inne und registrierte mich zum ersten Mal richtig. „Oh“, sagte er dann und in diesem „Oh“ war sowohl die Überraschung enthalten, dass ich ein Landsmann war, als auch die Erkenntnis, einem anderen Schwulen gegenüberzustehen, den er noch dazu wohl ganz attraktiv fand. Jedenfalls grinste er zurück. „Ich hab das unter Kontrolle“, erwiderte er lässig, gab mir die Hand und stellte sich als Philipp vor.
„Klar“, entgegnete ich und sagte ihm meinen Namen. „Deshalb kriechst du ja auch auf dem Boden herum und machst dich vor allen Leuten lächerlich. Du bist ein Nasensprayjunkie, eindeutig!“
„Blödsinn. Die Luft in L. A. ist so schlecht. Der Smog und so. Im Grunde brauche ich das Zeug gar nicht.“
„Aber der Spray hilft deinen Schleimhäuten nicht, er zerstört sie!“
„Davon merke ich nichts. Ich zieh mir einfach ein paarmal am Tag ein bisschen was davon rein, die Nase ist frei und mir geht’s gut.“ Damit war für ihn das Thema erledigt. Ich zuckte mit den Schultern und wollte gerade weitergehen, als Philipp mich zurückhielt. „Was ist, trinkst du einen Kaffee mit mir? Hier um die Ecke gibt es ein Starbucks , in dem ab und zu Julia Roberts auftauchen soll.“
„Nicht in den letzten Tagen“, erwiderte ich enttäuscht, doch dann lächelte ich. „Klar komme ich mit.“
Bei einem entkoffeinierten Cappuccino – aufgeschäumt mit absolut fettfreier Milch –, der grauenvoll schmeckte, erfuhr ich ein bisschen mehr über Philipp. Er arbeitete als PR-Manager für einen Konzertveranstalter, führte ein stressiges Leben und hatte in Los Angeles gerade die Werbekampagne für die Konzertreise einer deutschen Jazzgröße organisiert. Außerdem entdeckten wir, dass wir für den nächsten Tag beide denselben Rückflug gebucht hatten und gar nicht so weit voneinander entfernt lebten. Er in Frankfurt, ich in Köln.
Eine Stunde später landeten wir in einer Sauna und als ich meine Eroberung an die Hand nahm und in eine Kabine zog, wurde mir klar, dass ich einen Glückstreffer gelandet hatte. Ich schmolz förmlich dahin, als Philipp genau die richtigen Dinge in der richtigen Reihenfolge tat. Nachdem wir abgekämpft auf der schweißnassen Gummimatte wieder zu Atem kamen und ich ihn das erste Mal bewusst nackt betrachtete, wusste ich, dass ich mich in diesen Mann verlieben würde. Alles an ihm war begehrenswert: der blonde Flaum auf seiner Brust, sein idiotisches Ziegenbärtchen, seine Fußballerwaden, sein ansteckendes Lachen und seine Hände, die Dinge mit mir taten, von denen ich noch nie geträumt hatte.
Zurück zu Hause sahen wir uns so häufig wie möglich. Mal trafen wir uns in Köln, meist jedoch bei Philipp in Frankfurt. Ich fieberte jedem unserer Treffen entgegen, hatte wie ein Teenager feuchte Hände vor Aufregung, wenn ich an seiner Wohnungstür klingelte, breitete mein ganzes Leben vor ihm aus und konnte nicht genug von diesem Mann bekommen, meinem Philipp. Er war mein Bärchen, und ich sein Hase. Er dagegen war verschlossen, lange nicht so freigiebig mit seinen Gefühlen und Geschichten von sich wie ich. Zwar fühlte ich, dass auch er sich in mich verliebt hatte, aber immer wieder stieß ich an eine Wand aus Unnahbarkeit und Distanz, wenn ich ihn aufforderte, etwas mehr von sich preiszugeben. Gerade das reizte mich noch mehr.
Dass etwas nicht stimmte, bemerkte ich in meinem Liebesrausch erst nach ein paar Wochen. Philipp war krank, als ich ihn besuchte, klagte über Durchfall und Mattigkeit. Ich schob es auf eine Grippe. Als ich nach Hause fuhr, ging er drei Tage nicht ans Telefon. Ich war verrückt vor Sorge, fuhr wieder nach Frankfurt, malte mir die schlimmsten Sachen aus, sah mich Krankenhäuser und Leichenhallen abklappern – aber als er die Tür öffnete, sah er wieder besser aus. Er hatte mehr Farbe im Gesicht, entschuldigte sich tausendmal verlegen bei mir und behauptete, er hätte fast drei Tage durchgeschlafen. Ich glaubte ihm kein Wort und stürmte ins Schlafzimmer, überzeugt, dass Philipp mich betrogen hatte. Aber entgegen meiner Vermutung fand ich keinen anderen Mann, sondern Medikamentenschachteln, wahllos um das Bett verstreut. Doch es waren keine Grippemittel. Lars hatte Anja, Patrick und mir genug Nachhilfeunterricht erteilt; ich kannte die Namen vieler Aids-Medikamente. Ich hatte das Gefühl, dass unter meinen Füßen
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