Und dann der Himmel
geäußerter Stoßseufzer als direkte Bitte um göttlichen Beistand zu interpretieren sei oder nicht. Anscheinend hat sich Rafael meiner Meinung nicht anschließen können.
Mein himmlischer Sozialarbeiter beugt sich zu Adolf herunter und flüstert ihm etwas ins Ohr. Der Hund bleibt regungslos sitzen, wird ganz still und hört scheinbar aufmerksam zu. Fast sieht es so aus, als verstünde er jedes Wort, das Rafael ihm zuraunt. Dann steht Adolf plötzlich auf, bellt mich an, stellt sich auf die Hinterbeine und lässt seine Vorderpfoten auf meinen Schultern ruhen. Für einen Augenblick starren wir uns an – von Hundeauge zu Menschenauge – und noch bevor ich: „O nein, bitte nicht!“ stammeln kann – weil ich genau weiß, was als Nächstes kommt – schnellt aus Adolfs Maul eine riesige, weiche Zunge und schlabbert mir einmal quer durchs Gesicht.
„Igitt!“ schreie ich angeekelt. „Das ist ja widerlich!“ Ich versuche, mich aus Adolfs Umarmung zu befreien, aber das Tier ist auf seinen Hinterläufen nicht nur genauso groß wie ich, sondern auch genauso stark. „Ulli, sag ihm, er soll mich loslassen!“
„Äh …“, sagt Ulli unsicher. Auch er scheint der Situation nicht gewachsen zu sein.
„Das musst du ihm schon selber sagen, Marco“, mischt sich Rafael ein. Er ist die Ruhe selbst. „Du bist sein neues Herrchen. Adolf hört jetzt nur noch auf dich!“
Ich ahne Entsetzliches. „Mach Platz, Adolf!“ stammele ich, und zu Ullis und meiner Überraschung lässt die Dogge von mir ab, setzt sich wieder hin und klopft selbstzufrieden mit dem Schwanz auf den Boden. Dabei sieht er mich mit großen Augen an, als wäre ich ein überdimensionaler Hundekeks, den er gleich zur Belohnung für seinen Gehorsam verspeisen darf. Mir ist ganz mulmig zumute.
„Was hast du dem Vieh ins Ohr geflüstert?“ zische ich Rafael zu. „Los, sag schon!“
„Nur ein bisschen Tierpsychologie. Ich habe ihn gelobt, was für ein guter Hund er ist“, erklärt er mit diesem unschuldigen Gesichtsausdruck, von dem ich mittlerweile weiß, dass er nichts Gutes zu bedeuten hat, jedenfalls nicht für mich. „Und dann“, schiebt er beiläufig nach, „habe ich ihm gesagt, dass du ab sofort der neue Anführer seiner Meute bist und er dir Gehorsam zeigen muss. Hunde sind eben Rudeltiere und brauchen einen Anführer.“
„Und das hat Adolf verstanden?“ fragt Ulli ungläubig nach. „Bisher hatte ich eher den Eindruck, dass er selbst für einen Hund einen ziemlich niedrigen Intelligenzquotienten hat.“
„Das glaube ich einfach nicht!“ sage ich und stampfe wütend mit dem Fuß auf. „Wie kannst du so etwas tun, Rafael! Hör auf, dich in mein Leben einzumischen! Ich dachte, du willst mir helfen!“
„Das tue ich doch!“ erwidert Rafael und sieht mich an, als wäre ich ein etwas zurückgebliebenes Kind.
„Wie bitte?“ Ich merke, wie ich langsam in Fahrt komme. „Du tauchst aus heiterem Himmel auf, und innerhalb von vierundzwanzig Stunden demolierst du meinen fahrbaren Untersatz, quartierst dich wie selbstverständlich im Nebenzimmer ein und verschaffst mir eine Deutsche Dogge als Schoßhündchen. Von dem Zwischenfall heute Morgen im Dom gar nicht zu reden! Und das nennst du Hilfe? Was glaubst du, was mir Anja, Lars und Patrick erzählen werden, wenn ich mit Adolf zur Wohnungstür hereinspaziere! Das Vieh ist ja größer als unser Küchentisch! Weißt du was? Hiermit ziehe ich mein angebliches Gesuch um Unterstützung offiziell zurück! Du kannst deinem … deinem … Vorgesetzten mitteilen, dass ich meine Meinung geändert habe!“ Ich sehe Rafael triumphierend an.
„Tut mir Leid“, sagt Rafael und hebt bedauernd die Hände. „Bei einem solchen Vertrag gibt es keine Rücktrittsklausel. Wenn man Gott um Hilfe gebeten hat, ist das eine bindende Vereinbarung. Da haben wir ganz strenge Richtlinien. Außerdem scheinst du vergessen zu haben, dass ich verbannt bin. Selbst wenn ich wollte, könnte ich deinen Wunsch nicht weiterleiten. Mein Kontakt nach oben ist zurzeit … unterbrochen.“ Rafaels Mundwinkel zittern ein wenig, aber ich bin viel zu verärgert, um zu bemerken, dass auch er mit seinen Gefühlen kämpfen muss.
„Soll das heißen, dass wir auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet sind, bis du deine Aufgabe, mich zu verkuppeln, erledigt hast?“ frage ich fassungslos. Bis jetzt hatte ich noch immer gehofft, Rafael würde sich irgendwie durch ein Wunder in Luft auflösen. Die Chancen dafür scheinen aber immer
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