Und dann der Himmel
Käsebrot und beruhigt sich erst, als Rafael ihm geistesgegenwärtig auf den Rücken haut. „Jedenfalls“, fährt Patrick fort, „habe ich mich jetzt schon ersatzweise bei meiner Ex eingeladen. Sie hat gesagt, sie habe ihre Depressionen überwunden. Ich darf nur nicht die Themen Arbeit und Krankheit ansprechen.“
„Ich muss auch passen“, keucht Lars noch immer etwas atemlos und hebt einen Brotkrümel vom Boden auf. „Die Familie trifft sich dieses Jahr bei meinem Bruder und seiner Freundin, und da ich ihm noch dreitausend Euro schulde, muss ich mich einfach da blicken lassen. Gerade weil ich die Kohle nicht habe. Es ist ein rein taktisches Manöver.“
Mein Gesicht wird immer länger.
„Abgesehen davon“, sagt Rafael plötzlich, „wirst du ebenfalls nicht hier sein, Marco. Oder hast du schon wieder vergessen, dass wir in Urlaub fahren wollen?“
„Du willst Ferien machen?“ fragt Anja erstaunt. „Ich denke, du bist gerade deine Jobs losgeworden und völlig pleite!“
„Bis auf die Abfindung“, unterbricht Rafael.
„Was für eine Abfindung?“ fragt Lars.
„Ulli hat mir tausend Euro als Entschädigung in die Hand gedrückt“, erkläre ich widerwillig. „Aber das ist jetzt mein Notnagel für die nächsten Wochen. Rafael hatte die Schnapsidee, das Geld für einen kleinen Urlaub auf den Kopf zu hauen. Er meint, ich bräuchte eine Auszeit. Ich habe nie behauptet, dass wir wegfahren.“
Anscheinend haben die anderen meine Enttäuschung bemerkt und sehen sich betreten an.
„Wir könnten zum Weihnachtsmarkt gehen“, schlägt Anja vorsichtig vor. „Als Ersatz? Da ist es doch auch immer sehr … festlich.“ Ihre Stimme klingt unsicher und wenig überzeugt. Wahrscheinlich glaubt sie selber nicht, was sie sagt. Außerdem bin ich nicht in der Stimmung, mich mit so billigen Alternativen abspeisen zu lassen.
„Hmph!“ sage ich mürrisch. „Keine Lust.“
„Ach, komm schon, Marco“, sagt Anja, „wir zischen uns ein paar Glühwein und anschließend sieht die Welt ganz anders aus. So was hilft immer!“
„Jetzt sofort? Spinnt ihr?“ sagt Patrick. „Habt ihr mal nach draußen gesehen? Es regnet in Strömen und es ist eiskalt. Ich werde mir eine Lungenentzündung holen!“
„Halt die Klappe, Patrick“, erwidert Anja und wirft ihm einen giftigen Seitenblick zu.
„Der Regen wird gleich aufhören“, erklärt Rafael beruhigend. „Nicht mal für Hypochonder besteht Erkältungsgefahr.“ Und tatsächlich, als wir nach draußen blicken, klart der Himmel plötzlich auf und nur ein paar vereinzelte Tropfen klatschen noch gegen die Fensterscheibe.
„Wie … wie hast du das gemacht?“ stottere ich überrascht. Rafaels übernatürliche Fähigkeiten sind mir noch immer etwas unheimlich, vor allen Dingen, weil man nie weiß, wann man mit ihnen rechnen muss.
Rafael grinst zweideutig und steht auf. „Gehen wir?“ fragt er.
„Na schön“, ergebe ich mich in mein Schicksal, „wenn es euer schlechtes Gewissen beruhigt. Aber Adolf bleibt hier.“ Ich versuche noch immer, meine Verantwortung für den Hund zu ignorieren.
„Und Samantha …?“ protestiert Lars und deutet auf den Fernseher.
„Die braucht jetzt auch mal ’ne Pause, sonst kriegt sie noch einen Scheidenkrampf“, sagt Anja und nimmt Lars kurzerhand die Fernbedienung weg. „Du kommst mit! Es gibt ein Leben jenseits von Sex and the City .“
„Aber keins, das auch nur annähernd so interessant ist“, erwidert Lars enttäuscht. Dann wirft er die Reste seines Käsebrots in den Papierkorb, wischt sich die fettigen Hände an seiner Jeans ab und schließt sich uns an. Adolf sieht uns traurig nach, als die Wohnungstür vor seiner Nase ins Schloss fällt.
Der Weihnachtsmarkt liegt nur zwei U-Bahn-Stationen von unserer Wohnung entfernt. In Köln gibt es mittlerweile ein halbes Dutzend Weihnachtsmärkte, aber fast alle sind dermaßen kommerzialisiert und übersät mit Fressbuden und Kinderkarussellen, dass man eigentlich nur den Weihnachtsmarkt am Dom besuchen sollte, wo im Schatten der Kathedrale zumindest ansatzweise ein wenig vorweihnachtliche Stimmung verbreitet wird. Hier kann man noch eine Krippe mit echten Holzfiguren finden, süßlich singende Kinderchöre und hochwertiges Kunsthandwerk. Gerade deshalb ist natürlich dieser Markt so überfüllt mit Touristen, vor allen Dingen aus dem benachbarten Ausland, dass man Mühe hat, sich durch die Massen zu schieben, ohne im Gedränge mit einem öligen Backfisch zu kollidieren oder
Weitere Kostenlose Bücher