Und dann der Himmel
heißen Glühwein über die Jacke geschüttet zu bekommen. Heimlich hege ich ja den Verdacht, dass in wenigen Jahren alle Einwohner Kölns vom Stadtrat per Dekret gezwungen werden, in der Adventszeit rote Zipfelmützen zu tragen, als weitere Attraktion für unsere anreisenden Gäste. Dass es jedes Jahr mehr Verkaufsstände gibt, die solche Mützen anbieten, bestätigt nur meine Vermutung.
Während wir eingemummelt in unsere dicksten Winterjacken die Stufen zur Domplatte erklimmen – ich habe Rafael einen Kapuzenanorak geliehen, auch wenn er meint, er sei unempfindlich gegen die Kälte –, schallen uns schon von weitem Weihnachtslieder vom Band entgegen. Leider haben es die Veranstalter versäumt, die Soundsysteme von ihrer Reichweite her aufeinander abzustimmen, sodass alles, was in meinen Ohren ankommt, ein matschiger Klangbrei ist, in dem Tonfetzen von „Ihr Kinderlein kommet“, „Stille Nacht, heilige Nacht“ und „Leise rieselt der Schnee“ durcheinander schwappen. Natürlich rieseln in Köln im Dezember keine Schneeflocken – in der Kölner Bucht gibt es nur während einer Eiszeit Schneefall –, aber immerhin hat dank Rafaels vermutlicher Intervention der Regen endgültig aufgehört. Stattdessen blinken hunderte Lichterketten und es riecht nach Räucherkerzen, Lebkuchen, Bratwurst und WC-Reiniger.
„Schön hier“, sage ich und mache einen großen Bogen um das Toilettenhäuschen vor uns. „So festlich.“ Den ironischen Tonfall kann ich mir einfach nicht verkneifen.
Ein graumelierter, sichtlich erkälteter Mann kommt uns entgegen, bleibt plötzlich wie angewurzelt vor uns stehen, ringt nach Luft und niest dann erleichtert einen Schwall Bakterien in unsere Richtung. Patrick springt mir fast auf den Arm.
„Eine Virenschleuder“, flüstert er entsetzt und versucht gleichzeitig, nicht zu atmen.
„Vielleicht solltest du dir auch einen Mundschutz zulegen“, erwidert Lars spöttisch. „So wie Michael Jackson.“ Ohne auf uns zu achten, schiebt er sich durch die Menge, den nächsten Glühweinstand fest im Visier. Wir schlendern an zwei Ständen mit Makramee-Arbeiten aus Äthiopien und handgefertigten chinesischen Kunstwerken aus der Ginseng-Wurzel vorbei und bleiben an einer Bude stehen, die Christbaumschmuck aus dem Erzgebirge anpreist.
„Wie wäre es denn hiermit?“ fragt Rafael und hält eine winzige, bunte Holzfigur hoch, die ein Christkind darstellen soll, und deren Größe in keinem Verhältnis zu ihrem Preis steht. „Als Andenken?“
„Spinnst du?“ sage ich. „Wer soll denn das bezahlen? Viel zu teuer!“
„Die Figuren sind alle handbemalt!“ entgegnet mir der Verkäufer erbost.
„Von wem?“ mischt sich Anja ein. „Pygmäen? Ansonsten wüsste ich keinen, der einen so kleinen Pinsel halten kann. Oder haben wir hier vielleicht einen Verfechter von Kinderarbeit vor uns?“ Sie sieht den Mann herausfordernd an.
„Wenn Sie nichts kaufen wollen, machen Sie Platz für andere Kunden!“ sagt der Verkäufer wütend.
Patrick drängelt sich zwischen uns und klappert demonstrativ mit den Zähnen. „Mir ist kalt“, sagt er.
„Du Memme!“ flüstere ich ihm ins Ohr. „Sei nicht so ein Weichei!“
„Bin ich nicht!“, erwidert Patrick. „Ich habe nur ein sensibles Immunsystem.“ Er stampft mit den Schuhen auf, um die Kälte aus seinen Füßen zu vertreiben.
„Oh, schau mal: Strohsterne!“ ruft Rafael und zeigt auf ein Regal an der Rückwand. „Strohsterne sind wichtig.“
„Wichtig? Wieso?“ frage ich.
„Sie symbolisieren den Stern, der auf die Geburt von Jesus Christus hingewiesen hat.“
„Du meinst das Auftauchen des Halleyschen Kometen. Ein kosmisches Ereignis, das sich ungefähr alle achtzig Jahre wiederholt“, sagt Lars mit hochgezogenen Augenbrauen. „Zwar ungewöhnlich, aber naturwissenschaftlich leicht zu erklären.“
„Ich rede von dem Stern, mit dem die Ankunft des Erlösers angekündigt worden ist“, antwortet Rafael indigniert. „Und deinen neuzeitlichen Atheismus kannst du dir sonst wohin stecken!“
„Da vorne gibt es noch schönere Strohsterne“, sage ich schnell und deute auf eine andere Weihnachtsmarktbude. Ich schiebe Rafael vor mir her und bedeute Anja, Lars möglichst von ihm fernzuhalten. Irgendwie scheint die Chemie zwischen den beiden heute nicht zu stimmen.
„Was ist bloß los mit dir?“ zische ich Rafael zu. „Lars hat dir doch gar nichts getan!“
„Er hat mich provoziert!“ erklärt Rafael und zieht eine Schnute.
Ich muss
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