Und dann der Himmel
dich so zu entscheiden, wie du es für richtig gehalten hast. Aber die meisten deiner Entscheidungen waren vorhersehbar, weil du Marco bist. Es war also nicht schwer anzunehmen, dass du eines Tages wieder meine Hilfe benötigst.“
„Kreidest du mir jetzt an, dass ich so bin, wie ich bin?“ frage ich aufgebracht. „Nach deiner Philosophie hat mich Gott doch so erschaffen!“
Meine Mutter mischt sich ein. „Worum geht es hier eigentlich?“ will sie wissen.
„Marco wirft mir vor, dass ich ihn mit Absicht habe leiden lassen und ihm nicht früher zu Hilfe geeilt bin.“
„Tue ich nicht!“ fahre ich den Engel an. „Tue ich doch“, murmele ich dann.
„Worunter leidest du denn?“ erkundigt sich meine Mutter und schon an ihrem Tonfall erkenne ich, dass ich mich auf Glatteis begeben habe. Sie ist auch eine derjenigen, die glauben, man könne jedes Problem mit praktischen Lösungsvorschlägen aus der Welt räumen. Gefühle wie Weltschmerz und Selbstmitleid sind ihr fremd.
„Er hat mich gerufen, damit ich ihm seinen Traumprinzen auf einem Silbertablett serviere“, sagt Rafael provozierend, und ich falle prompt darauf herein.
„Das stimmt überhaupt nicht! Ich habe dich um Hilfe gebeten, weil ich einsam war!“ widerspreche ich erbost. „Vielleicht habe ich auf ein bisschen Trost gehofft, weil Finn mich betrogen hat. Aber da bin ich bei dir ja wohl an die falsche Adresse geraten, was? Und außerdem habe ich dich nicht gerufen! Du bist einfach plötzlich aufgetaucht!“
„Wie man in den Wald hineinschreit, so schallt es heraus!“ entgegnet mir Rafael mit einem dünnen Lächeln und macht mich damit so zornig, dass ich aufspringen will, aber meine Mutter drückt mich zurück in den Küchenstuhl und streicht mir beruhigend über meine Stoppelhaare.
„Egoistischer kleiner Scheißer“, sagt sie zu mir und wendet sich dann an Rafael. „So war Marco schon immer. Wenn etwas nicht so klappte, wie mein Sohn sich das vorgestellt hat, hat er die Schuld bei anderen gesucht. Bloß nicht zu sehr nach den eigenen Motiven und Fehlern forschen, es könnte ja bedeuten, dass er sich ändern muss.“ Sie sieht mich nachsichtig an. „Wirklich, Marco, hast du immer noch nicht begriffen, dass man aus seinen Fehlern lernen kann?“
„Was denn für Fehler?“ frage ich patzig zurück. „Ich habe nichts falsch gemacht, jedenfalls nicht in meinen Beziehungen.“
„Deshalb sind dir ja die Männer auch alle laufen gegangen“, bemerkt Sabine spitz.
„Sie sind nicht laufen gegangen! Ich habe sie rausgeschmissen, das ist ein großer Unterschied!“ brülle ich meine Schwester an. Ich habe das Gefühl, von allen Seiten unter Feuer genommen zu werden. „Und wieso haust du eigentlich in dieselbe Kerbe wie Mutter und Rafael? Gerade von dir hätte ich ein bisschen Unterstützung erwartet. Du weißt doch, wie es ist, hintergangen zu werden! Wer hat sich denn gestern Abend noch lauthals über schwanzgesteuerte Männer ausgelassen?“
Meine Schwester duckt sich, als hätte ich versucht, sie zu schlagen, und mein Wutausbruch hinterlässt eine atemlose Stille im Raum. Die angespannte Stimmung in der Küche wird erst von meiner Nichte durchbrochen, die sich während des gesamten Streitgesprächs intensiv mit ihrer Banane auseinander gesetzt hat. Die Hälfte der Frucht hat sie als unansehnlichen Matsch auf ihre Hände und auf ihr Gesicht verteilt, der Rest ist in ihrem gierigen, kleinen Mund verschwunden. Aber auch das scheint zu viel des Guten gewesen zu sein, denn in diesem Moment macht Annika ein Bäuerchen und ein breiiger Bananenklacks landet auf dem Küchentisch.
Ich nutze die Ablenkung, um der versammelten Richterschaft meiner Familie zu entfliehen. Lieber mache ich einen Spaziergang an der frischen Luft. Da kann ich mein Mütchen kühlen und gleichzeitig die Müdigkeit aus meinen Knochen vertreiben.
Draußen kündigt sich eine neue Schlechtwetterfront an. Trotz der Mittagsstunde sieht der Himmel aus wie ein Gemälde von Caspar David Friedrich, dunkel und bedrohlich. Wieso andere Leute seine Bilder romantisch finden, habe ich nie nachvollziehen können. Dichte Wolken ziehen von Osten herauf, die Luft ist feucht und schwer und schmeckt nach Regen. Aber ein Unwetter kommt mir gerade recht; es passt zu meiner schlechten Stimmung. Ich nehme den Weg durch den Weinberg, klettere über die stufig gemauerten Abschnitte, die der Erde einen zusätzlichen Halt geben sollen. Im Herbst haben meine Eltern die Rebstöcke winterfest
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