Und dann gabs keines mehr
herausfand, dass sie ‹in Schwierigkeiten› war, wie man so sagt.»
Sie hielt inne, ihre feine Nase kräuselte sich in Ekel. «Es war für mich ein großer Schock. Ihre Eltern waren anständige Leute, die sie sehr streng erzogen hatten. Es spricht für sie, dass sie das Verhalten ihrer Tochter nicht billigten.»
Vera starrte Miss Brent an: «Was geschah dann?»
«Selbstverständlich habe ich sie nicht eine Stunde länger unter meinem Dach behalten. Niemand wird von mir sagen können, dass ich die Unmoral billige.»
«Was geschah – mit ihr?», fragte Vera mit leiser Stimme.
«Die gottlose Kreatur war nicht zufrieden damit, eine Sünde auf dem Gewissen zu haben», sagte Miss Brent. «Sie beging eine noch schwerere Sünde. Sie nahm sich das Leben.»
«Sie brachte sich um?», flüsterte Vera entsetzt.
«Ja, sie warf sich in den Fluss.»
Vera zitterte.
Sie starrte auf das feine, ruhige Profil von Miss Brent und fragte: «Was haben Sie gefühlt, als Sie erfuhren, was sie getan hatte? Tat es Ihnen nicht Leid? Haben Sie sich keine Vorwürfe gemacht?»
Emily Brent straffte sich: «Ich? Es gab nichts, was ich mir vorwerfen könnte.»
«Aber wenn Ihre – Härte – sie dazu getrieben hat.»
«Ihr eigenes Verhalten – ihre eigene Sünde – trieb sie dazu», entgegnete Emily Brent scharf. «Wenn sie sich wie eine ordentliche, bescheidene junge Frau verhalten hätte, wäre nichts von all dem geschehen.»
Sie wandte ihr Gesicht Vera zu. Da war kein Selbstvorwurf, kein Unbehagen in ihren Augen. Sie waren hart und selbstgerecht. Emily Brent saß auf dem höchsten Punkt der Insel, eingeschlossen im Panzer ihrer Tugend.
Die kleine ältliche Jungfer kam Vera keineswegs mehr komisch vor.
Plötzlich war sie – Furcht erregend.
II
Dr. Armstrong trat aus dem Esszimmer wieder hinaus auf die Terrasse.
Der Richter saß jetzt in einem Sessel und sah gleichmütig aufs Meer hinaus.
Lombard und Blore standen weiter links, sie rauchten, sprachen aber nicht.
Wie schon zuvor, zögerte der Arzt einen Moment. Sein Blick ruhte prüfend auf Richter Wargrave. Er wollte sich mit jemandem beraten. Er schätzte den scharfen, logischen Verstand des Richters. Trotzdem zögerte er. Richter Wargrave mochte intelligent und clever sein, aber er war ein älterer Herr. Armstrong fühlte, dass das, was an diesem entscheidenden Punkt des Geschehens gebraucht wurde, ein Mann der Tat war.
Er fasste einen Entschluss.
«Lombard, kann ich Sie einen Moment sprechen?»
Philip schreckte hoch.
«Selbstverständlich.»
Die beiden Männer verließen die Terrasse. Sie schlenderten den Abhang hinunter zum Wasser. Als sie außer Hörweite waren, sagte Armstrong: «Ich muss Sie konsultieren.»
Lombards Augenbrauen hoben sich.
«Mein lieber Freund, ich habe keinerlei medizinische Fachkenntnisse.»
«Nein, nein, ich meine bezüglich der allgemeinen Situation.»
«Das ist natürlich etwas anderes», sagte Lombard.
«Ganz ehrlich, was halten Sie von der Lage?», fragte Armstrong.
Lombard überlegte einen Moment lang. Dann sagte er: «Sie gibt einem zu denken, oder?»
«Was ist Ihre Meinung bezüglich dieser Frau? Teilen Sie Blores Theorie?»
Philip paffte Rauch in die Luft.
«Sie ist gut nachvollziehbar», meinte er, «– für sich betrachtet.»
«Genau.»
Armstrong klang erleichtert. Philip Lombard war kein Narr.
«Vorausgesetzt, man teilt die Grundannahme», fuhr Lombard fort, «dass Mr. und Mrs. Rogers ihren Mord damals erfolgreich vertuschen konnten. Und warum sollte ihnen das nicht gelungen sein? Was denken Sie, wie haben sie es gemacht? Die alte Dame vergiftet?»
«Es könnte noch einfacher gegangen sein», meinte Armstrong. «Ich habe Rogers heute Morgen gefragt, woran Miss Brady gelitten hat. Seine Antwort war aufschlussreich. Ich brauche nicht in die medizinischen Details zu gehen, aber bei einer gewissen Art von Herzschwäche wird Amylnitrit verordnet. Wenn eine Attacke kommt, wird eine Ampulle dieses Nitrits zerbrochen, und es wird inhaliert. Wenn man das Nitrit nicht verabreichen würde – nun, die Folgen könnten leicht tödlich sein.»
«So einfach ist das», sagte Philip Lombard nachdenklich. «Es muss ziemlich verlockend gewesen sein.»
Der Arzt nickte.
«Ja, keine gezielte Handlung. Kein Arsen besorgen und verabreichen – nichts Bestimmtes – nur – nichts tun! Und Rogers eilt durch die Nacht, um einen Arzt zu holen, und beide fühlen sich sicher, dass niemand je davon erfahren wird.»
«Und selbst wenn
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