Und dann kam Paulette (German Edition)
und überall dort hinterlassen hat, wo er sich herumgetrieben hat, nein, wirklich, den wollte er nicht geschenkt. Tut mir leid, Marceline, aber zählen Sie bei Ihren Tieren nicht auf mich. Und sollten Sie jemals mit dem Gedanken spielen, sie mir aufzuhalsen, warne ich Sie: Ich werde nicht eine Sekunde zögern, sie wegzugeben. Ich mag nach außen nett und umgänglich wirken, aber das täuscht.
Erschöpft verlässt er das Zimmer. Guy sieht ihn in die Küche kommen und steht langsam auf, fürchtet, dass er schlechte Nachrichten hat. Aber Ferdinand sagt kein Wort. Er holt eine Flasche Wein aus dem Fliegenschrank, schenkt sich ein Glas ein, leert es in einem Zug und sinkt auf einen Stuhl. Der Hund schmiegt sich an seine Beine, er streichelt ihn zärtlich. Guy setzt sich wieder hin.
Und Ferdinand beginnt, seine Fragen zu stellen.
Natürlich hat Guy nicht auf alles eine Antwort, er weiß nur ein paar Dinge, die Gaby ihm erzählt hat. Darum kann er sagen, dass …
Ja, Marceline trägt eine schwere Last, aber er findet, dass er nicht das Recht hat, Ferdinand davon zu erzählen.
Ja, es ist sehr wahrscheinlich, dass sie keine Familie hat. Hier jedenfalls hat sie keine mehr – so viel steht fest.
Bestimmt hat die Verantwortung für die Tiere sie bisher durchhalten lassen. Gute Idee, ihr damit zu drohen, dass sie die Tiere weggeben würden, darauf wird sie reagieren müssen.
Aber jetzt ist es genug, mehr will er nicht sagen.
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33
Thymiantee
Sie versucht zu rennen, aber etwas hält sie zurück, hält ihre Beine fest, sie schreit, will, dass man sie loslässt, nicht festhält, sonst kommt sie zu spät, schafft es nicht zu ihnen, das darf auf keinen Fall passieren, sie kann nicht länger bleiben, unmöglich, sie weint, fleht, schlägt um sich, spürt ihre Kräfte schwinden, sie kann sich fast nicht mehr bewegen, das war’s, sie hat keine Kraft mehr, es ist nichts mehr da, sogar ihre Stimme ist weg, das ist bestimmt das Ende. Auf einmal ist sie ganz ruhig, ihr Körper bereitet ihr keine Schmerzen mehr, er wirkt federleicht, um sie herum wird es hell, in der Ferne sieht sie ihre Töchter, am anderen Ufer, sie machen ihr Zeichen, wirken erfreut, sie lächelt ihnen zu, endlich kommt sie zu ihnen …
«Marceline … Marceline …»
Es ist Guy, der sanft nach ihr ruft.
Sie bewegt sich nicht. Er lässt nicht locker.
«Wachen Sie auf, Marceline. Es ist Zeit für einen Kräutertee.»
Sie schlägt die Augen auf. Er hilft ihr hoch, damit sie sich auf ihre Kopfkissen stützen kann.
«Ich habe was ganz Komisches geträumt.»
«Das glaube ich Ihnen sofort! Erst sind Sie wie wild gerannt, dann haben Sie um sich geschlagen, und am Ende haben Sie anscheinend Ihr Ziel erreicht, denn plötzlich haben Sie zufrieden und ruhig gewirkt. Ein sportlicher Traum.»
Er hält ihr eine Schale mit Thymiantee hin.
«Trinken Sie, bevor er kalt wird.»
Sie gehorcht.
«Olenka und Danuta, das sind die Namen Ihrer Töchter, stimmt’s?»
Sie nickt.
«Sie haben vorhin ihre Namen gerufen.»
«Ja, ich erinnere mich.»
Das Fieber sank, endlich konnte Marceline wieder aufstehen. Sie hatte vier Tage im Bett verbracht, weshalb sich ihre Beine jetzt wie Watte anfühlten. Ferdinand und Guy halfen ihr, zum Fenster zu gehen. Von dort konnte sie Cornélius sehen, der selbständig seine Box verlassen hatte und im Hof spazieren ging. Als er hörte, wie sie an die Scheibe klopfte, drehte er den Kopf und trabte heran.
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34
Guys Entscheidung
Guy entschied sich schließlich für das ehemalige Zimmer von Ferdinands ältestem Sohn Lionel. Er war vor dreißig Jahren ausgezogen, mit siebzehn. Das Risiko, dass er zurückkommen und es für sich beanspruchen würde, war gleich null. Ein schräger Vogel, dieser Lionel. Von Zeit zu Zeit ruft er an, um sich kurz zu melden. Meistens um vier Uhr morgens. In Australien ist es dann acht Uhr abends, und er vergisst, dass es eine Zeitverschiebung gibt. Vielleicht ist es ihm auch egal. Das ist gut möglich. So ist er nun mal. Schon als kleiner Junge hatte er keine Freunde, brachte seine Mutter oft zum Heulen, riss den Fliegen die Flügel aus und erzählte seinem kleinen Bruder, er sei ein Vampir. Und dann ging er weg, weit weg, nach down under , um niemanden mehr zu sehen, an niemanden gebunden zu sein. Im Grunde hat er das Leben gefunden, das zu ihm passt. Er hat keine Frau, keinen Kerl, kein Kind, wohnt allein im Nirgendwo. Und er hat sich den dazu passenden Beruf
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