Und dann kam Paulette (German Edition)
begreift, dass ihr erst jetzt, in dieser Sekunde, bewusst wird, was mit ihr los ist. Sie streicht ihr sanft über das Gesicht … Armes kleines Ding … Dann geht sie zu Kim und Ferdinand. Die beiden helfen ihr, Muriel in ihr Zimmer zu tragen, dort legt sie sie aufs Bett, stapelt Kopfkissen hinter ihrem Rücken, geht wieder hinaus und bittet die beiden Männer, einen Arzt oder eine Hebamme zu rufen, schnell! Sie scheinen nicht zu begreifen, was sie sagt. Marceline treibt sie an, es ist dringend. Kim und Ferdinand kehren besorgt in den anderen Flügel zurück, um zu telefonieren. Auf halber Strecke fällt Kim ein, dass Suzannes Tante Hebamme ist. Er rennt in sein Zimmer, holt sein Handy. Es ist ein Uhr nachts.
Marceline streicht Muriel über den Kopf, flüstert ihr ins Ohr … Alles in Ordnung, Kleines … mach dir keine Sorgen … Kim hat eine Hebamme angerufen, sie kommt gleich … Zu diesem Zeitpunkt hat Muriel schon stundenlange Qualen hinter sich, es dauert ihr zu lange, sie will nur noch, dass es aufhört. Sofort. Sie hat so viel geschrien, dass sie keinen ganzen Satz mehr herausbringt, wirft den Kopf von rechts nach links und stöhnt nur noch: Nein. Nein. Nein.
Die Zeit vergeht. Sie hat wiederholt Wehen. Unermüdlich setzen sie ihr zu. Dann kommt eine, die schmerzhafter ist als die anderen. Die ihr fast den Bauch zerreißt. Der Kopfansatz des Babys ist zu sehen. Marceline weiß, dass sie nicht länger warten kann. Muriel, Liebes, wir helfen ihm raus … hör zu … ich sage dir, wann du pressen musst, okay? … so ist’s gut … tief einatmen … so, jetzt pressen … ja … ja … ja … sehr gut … noch einmal … pressen … noch einmal … noch einmal … fester … fester … fester … gleich ist es so weit … noch einmal, fester … so, der Kopf ist draußen … das Schwierigste ist geschafft … ein letztes Mal noch … geschafft, es ist da, du hast es geschafft … willkommen, kleiner Engel … Muriel, es ist ein Mädchen … Marceline ist ganz ergriffen, sie deckt das Baby mit einer Decke zu, damit es nicht friert, legt es Muriel in die Arme, aber diese dreht sich weg. Sie will es nicht sehen und auch nicht berühren. Marceline würde am liebsten losheulen, hält sich aber zurück.
Es ist zwei Uhr nachts. Guy und Kim haben an der Straße, kurz vor der Kreuzung, Stellung bezogen. Beide haben eine Taschenlampe in der Hand. Das Auto der Hebamme kommt näher, sie wirbeln mit den Lampen durch die Luft, zeigen ihr den Weg zum Haus. Im Hof übernimmt Ferdinand das Kommando, macht die Tür auf, lässt sie ins Haus. Marceline ist erleichtert. Marie, die Hebamme, erzählt, dass sie sich nach Kräften bemüht hat, aber als der Anruf sie erreicht hat, war sie noch im Kreißsaal. Die Kinder kommen häufig in Vollmondnächten zur Welt und am Wochenende, das ist nun mal so! Sie hört das Kind ab, trennt die Nabelschnur durch, unterbindet sie, kümmert sich um Muriel, prüft nach, ob die Plazenta vollständig herausgekommen ist, fragt, wie alles verlaufen ist, beglückwünscht alle zu der guten Arbeit. Aber ihr ist auch klar, dass etwas nicht stimmt, Muriel würdigt das Baby keines Blickes, auch nicht, als es anfängt zu weinen. Marceline geht zu ihr, streichelt ihre Hand, beugt sich über sie und flüstert ihr ins Ohr, ob sie reden will oder ob es ihr lieber ist, wenn sie sich erst mal um das Baby kümmert. Das ist ihr lieber. Die beiden Frauen verlassen mit dem Kind auf dem Arm das Zimmer. Muriel dreht sich zur Wand und beginnt leise zu weinen.
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Sonntag
Nachdem sie von dem Trubel geweckt worden war und lange wach gelegen hatte, ging Simone um sechs Uhr in die Küche, um nachzusehen, was los war. Ihr bot sich folgendes Bild: Marceline bereitete gerade ein Fläschchen zu, während Guy, ein Baby auf dem Arm, stürmischen Schrittes in der Küche hin und her lief und es zu beruhigen suchte. In dem Moment kam Leben in sie. Wild entschlossen, die Stirn in Falten gelegt, stürzte sie auf ihn zu: Glaubst du wirklich, dass man so mit einem Kind umgeht? Du schüttelst es ja wie eine Saftflasche, kein Wunder, dass es heult! Guy war gekränkt. Doch dann wurde ihm klar: Simone ist wieder die Alte! Entschieden nahm sie auf einem Sessel Platz und streckte die Arme aus, er legte ihr das Neugeborene hinein, und wie durch ein Wunder hörte es auf zu weinen. Beleidigt verließ er die Küche und murmelte etwas von dringenden Arbeiten. Als sie erfuhr, dass das Baby
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