und das geheimnisvolle Erbe
hinreißen ließ. »Das Haus liegt etwa drei Kilometer hinter dem Dorf.«
Es war zu dunkel, und wir fuhren auch zu schnell, als dass ich viel vom Dorf gesehen hätte.
Doch als wir dann in die Einfahrt bogen, sah ich, dass alle Lampen im Haus brannten. Das Cottage war genau, wie ich es mir vorgestellt hatte, und es schien auf mich zu warten.
»Hier wären wir«, sagte Paul und stellte den Motor ab. Es war völlig still. Wir stiegen aus der Limousine und standen auf dem Kiesweg, und als mich die kalte Nachtluft umfing, fröstelte ich.
»Heute Nacht dürfte es leichten Frost geben, denke ich.« Bill blies in die Hände, und ich sah seinen Atem in Wölkchen aufsteigen.
»Ziemlich frisch für die Jahreszeit«, stimmte Paul zu. »Gehen Sie beide schon mal rein und wärmen Sie sich. Ich kümmere mich um das Gepäck.«
Während Paul sich daranmachte, den Kofferraum auszuladen, ging Bill zur Haustür und kramte in seiner Hosentasche nach den Schlüsseln, die sein Vater ihm gegeben hatte. Ich blieb ein paar Meter vom Haus entfernt stehen und blickte mich um, um mir meinen ersten Eindruck bestätigen zu lassen, nämlich dass das Haus so aussah … wie es aussehen musste.
Es war genau, wie meine Mutter es mir in ihrer Geschichte beschrieben hatte, ein einstöckiges Haus mit einem breiten Rasen davor und durch eine hohe Hecke gegen die Straße abgeschirmt. Das Licht der Außenbeleuchtung spiegelte sich in den rautenförmigen Scheiben der Bleiverglasung, und man konnte ahnen, dass in der Abendsonne ein goldener Schimmer auf den Mauern lag. Das Schieferdach, der Plattenweg, der zu der verwitterten Haustür führte, alles war so, wie ich es im Geiste gesehen hatte, bis hin zu den Fliederbüschen, die bereits voll weißer Dolden waren.
»Flieder im April«, sagte ich leise. »Hier blüht er wohl früher als zu Hause.«
Paul blieb neben mir stehen. »Ein wunderschönes altes Haus, Miss.«
»Zu schön um wahr zu sein«, sagte ich, indem ich die Vorderfront nach Schäden absuchte, die mich in die Wirklichkeit zurückbringen würden.
Mir war nicht wohl bei diesem Gefühl des Besitzer-greifens, das ich empfand. Es war zu leicht, zu vergessen, dass ich nur ein Besucher war.
Aber das Außenlicht deckte keinerlei Makel auf.
Mit einem Schulterzucken trat ich an die Tür zu Bill. Er schien Schwierigkeiten mit dem Schloss zu haben.
»Lass mich mal versuchen«, bot ich an und drehte den Schlüssel herum. Die Tür öffnete sich wie von selbst und gab den Blick auf den hell erleuchte-ten Flur frei.
»Sieh dir das an«, sagte Bill, »das ist ja die reinste Festbeleuchtung.«
»Das Ehepaar Harris ist vielleicht heute hier gewesen, um es für uns vorzubereiten«, sagte ich.
»Wahrscheinlich haben sie vergessen, das Licht auszumachen.«
»An Ihrer Stelle würde ich mit den beiden da-rüber sprechen, Miss«, sagte Paul, ganz Diener der alten Schule. »Strom ist heutzutage nicht gerade billig.«
»Billig oder nicht, ich bin froh, dass sie die Heizung angestellt haben«, sagte Bill. »Gehen wir hinein, ehe wir uns alle erkälten.«
Paul setzte die Taschen im Hausflur ab und ging zum Auto zurück, um den Rest zu holen. Als ich über die Schwelle trat, schien das Haus mich wie in einer warmen Umarmung zu empfangen, und als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, dachte ich: Ich mag nur zu Besuch hier sein, aber ich fühle mich sehr willkommen.
An der Tür klopfte es leise. Wieder der Diener alter Schule, dachte ich und verdrehte die Augen.
»Du liebe Zeit, Paul, Sie brauchen doch nicht an-zuklopfen!«, rief ich. »Kommen Sie rein, es ist offen.«
Von außen kam undeutlich seine Stimme. »Tut mir Leid, Miss, sie rührt sich nicht.«
»Was meinen Sie, sie rührt sich nicht …« Ich hatte die Tür kaum berührt, als sie sich auch schon öffnete. Auf der Schwelle stand Paul, in jeder Hand eine Tasche, mit ratlosem Gesicht.
»Diese alten Häuser haben manchmal ihre Lau-nen, Miss.« Er setzte die Taschen ab, während Bill an der Türklinke herumfummelte.
»Es scheint alles in Ordnung zu sein«, sagte er,
»aber ich bin kein Schlosser. Ich glaube, ich werde Herrn Harris darum bitten, dass er es nachsehen lässt.«
»Gut«, sagte ich. »Und wie wär’s jetzt mit einem Tee, ehe Sie nach London zurückfahren, Paul?
Oder möchten Sie hier übernachten? Sie wären uns natürlich sehr willkommen.«
»Vielen Dank, Miss, aber lieber nicht. Ich fahre am besten gleich zurück, wenn Sie nichts dagegen haben. Ich muss morgen früh raus, ich
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