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und das geheimnisvolle Erbe

und das geheimnisvolle Erbe

Titel: und das geheimnisvolle Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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mich einen Moment an, dann stand er auf und räumte die Archivkästen von der Ottomane. Er schob sie neben meinen Sessel und setzte sich. Offensichtlich wartete er darauf, dass ich etwas sagte, und ich hatte das Gefühl, dass er geduldig stundenlang warten würde, falls ich so lange brauchen sollte, um die richtigen Worte zu finden.
    Ich deutete auf die letzten Zeilen des Briefes.
    »Mein Vater starb an einem Schlaganfall. Er arbeitete zu viel und rauchte zu viele Zigaretten …« Ich scheute mich, etwas auszusprechen, das ich mein ganzes Leben lang nicht hatte fassen können: ein Mann, der die Invasion überlebt hatte, war ein Opfer seines Schreibtisches und einer schlechten Ge-wohnheit geworden.
    »Es tut mir Leid«, sagte Bill.
    »Ich habe ihn nie gekannt«, sagte ich. »Ich war vier Monate, als er starb, und ich habe … sie nie danach gefragt.«
    Ich wusste so vieles über meine Mutter. Ich wusste ihre Schuhgröße, kannte ihre Lieblingsfarbe und ihre Ansichten über die Französische Revolution, aber über dieses wichtige Ereignis in ihrem Leben tappte ich vollkommen im Dunkeln. Es gab viele Dinge, die ich bedauerte, sie nie gefragt zu haben, aber nichts bedauerte ich so sehr wie die nicht gestellten Fragen über den Tod meines Vaters. »Wenn sie über meinen Vater sprach, dann nur über sein Leben, nicht über seinen Tod.« Ich fuhr mit der Hand über den Brief.
    »Ich vermute, sie hielt es für sinnlos, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen.«
    Bill nickte nachdenklich.
    Dann, die Augen aufs Feuer gerichtet, fragte er:
    »Wie kann man die Vergangenheit verdrängen, wo sie doch ein Teil von einem selbst ist?« Er seufzte und sah noch immer in die Flammen. »Das hat Dimity mir einmal gesagt, als wir bei ihr wohnten. Ich hatte ihr erzählt, wie die Jungen in der Schule sich mir gegenüber verhielten, und sie fand es dumm.
    Sie sagte, dass die Vergangenheit ein Teil von mir sei, und wenn ich versuche, diese Vergangenheit zu ignorieren, dann sei das, als ob ich versuchte, einen Arm oder ein Bein zu ignorieren. Natürlich könne ich das, aber es würde mich zum Krüppel machen.«
    Er sah mich an und fügte hinzu: »Aber ich glaube, deine Mutter war kein Krüppel, nicht wahr?«
    »Nein«, sagte ich, »aber ich weiß nicht, wie sie jemals darüber hinwegkam.« Ich hielt den Brief hoch. »Hier ist sie im siebenten Himmel, und vier Monate später brach ihre Welt zusammen. Wie kommt man über so etwas hinweg?«
    »Dazu hätte ich noch ein Zitat auf Lager; willst du es hören?«
    »Von Dimity?«
    »Ja, noch etwas, das sie an jenem Abend sagte.
    Sie sagte, wenn man jemanden verliert, ist das nichts, worüber man hinwegkommt, man kommt auch nicht darunter hinweg oder drum herum. Es gibt keine Abkürzung. Es ist etwas, durch das man hindurchgehen muss, und man muss ganz und gar hindurch, und jeder macht es anders. Ich weiß nicht, wie deine Mutter es gemacht hat, aber ich weiß, dass es nicht stimmt, wenn du sagst, dass ihre Welt zusammenbrach. Sie hatte ja noch dich …«
    »Das wird ihr eine große Hilfe gewesen sein«, murmelte ich.
    »Und sie hatte Dimity. Sieh dich um. Was siehst du?«.
    »Ihre Briefe.« Ich merkte, wie meine Bedrücktheit allmählich wich. »O Bill, wie dumm von mir! Dimity muss ja ein richtiger Rettungsanker für sie gewesen sein.«
    »Ich kann mir kaum jemanden vorstellen, der in so einer Situation geeigneter gewesen wäre«, stimmte Bill zu. Er langte hinüber und zog einen Kasten auf seinen Schoß. »Lesen wir weiter. Wir werden bald wissen, ob ich Recht habe.«

    Es war fast Mitternacht, als ich die Briefe zur Seite legte, aufstand und aus dem Arbeitszimmer ging.
    Ich war zu aufgewühlt, um etwas zu sagen. Die Harrisens hatten nicht angerufen, und wir suchten noch immer nach dem Brief, der nicht abgeschickt worden war, aber das war es nicht, was mich verstörte. Bill hatte mich davor gewarnt, dass ein Ein-dringen in die Vergangenheit schmerzhaft sein kön-ne, und ich hatte erwartet, ein paar beunruhigende Entdeckungen über Dimity zu machen – aber ich hatte nicht erwartet, über meine Mutter etwas Beunruhigendes herauszufinden.
    Bill trat zu mir in den Wintergarten, wohin ich geflüchtet war. Ich hatte die Hände auf die Lehne eines schmiedeeisernen Stuhls gelegt, und Bill stand unschlüssig einen Schritt hinter mir. Es war stockdunkel, und es regnete noch immer.
    »Ich weiß, es ist nicht, was wir erwartet hatten, Lori, aber …«
    »Es macht keinen Sinn.« Meine Hände ver-krampften

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