und das geheimnisvolle Erbe
Lagerhauses grinste dämo-nisch ein steinerner Wasserspeier von gut einem halben Meter Höhe. Ehe wir ins Haus traten, blieb Emma stehen. »Mögen Sie Hunde?«
»Ja, sehr.«
»Gut. Denn wenn ich Harn einsperren müsste, würden wir unser eigenes Wort nicht verstehen.
Aber wenn er Sie erst einmal begrüßt hat, wird er sich schnell beruhigen.« Die niedrige Tür führte in einen rechteckigen Raum mit Steinfliesen, wo uns ein großer, schwarzer Labrador überschwänglich begrüßte. Er wedelte mit dem Schwanz, zog die Lefzen hoch und bellte begeistert, worauf ich ihn hinter den Ohren kraulte und ihm versicherte, dass er ein ganz entzückender Hund sei.
»Meine Tochter fand ihn, als er noch ganz klein war«, erzählte Emma. »Er lag mit zusammenge-bundenen Pfoten am Straßenrand, gar nicht weit von hier. Sie brachte ihn nach Hause, und wir pflegten ihn gesund. Sie hat ihn auf den Namen ihres tragischen Lieblingshelden getauft.«
»Hamlet?«, vermutete ich.
»Weil er auch immer nur Schwarz trägt, wie Nell gern erklärt.« Emma gab mir Reginald zurück, stellte den Schirm in den Ständer neben der Tür und hängte meine Jacke an einen der hölzernen Kleiderhaken. Gummistiefel, Wanderstiefel, Turnschuhe und Holzschuhe lagen in wirrem Durcheinander unter einer geschnitzten Kirchenbank, die an der gegenüberliegenden Wand stand, wo außerdem Angeln, Spazierstöcke und vier leicht mitgenomme-ne Tennisschläger lehnten. »Dies ist der so genannte Schmutzraum, sicher können Sie erraten, warum er so heißt. Aber gehen wir in die Küche, der Tee ist gerade fertig.«
Ein bunter Flickenteppich bedeckte den größten Teil des Küchenfußbodens, üppig blühende Kräuter wucherten in Tontöpfen auf den Fensterbänken, und neben dem Herd hingen glänzende Kupferge-fäße. Von einem überladenen Bord des Küchenschranks nahm Emma Tassen, Untertassen und einen Steintopf, den sie neben die Teekanne auf den langen Holztisch stellte; er bildete den Mittelpunkt der Küche, sah aber aus, als hätte er einst in einem Refektorium Dienst getan. Emma bat mich, auf einem Stuhl Platz zu nehmen, dessen Sitz aus Binsen geflochten war. Ham hatte sich gegen mein Bein gelehnt und sah mich voller Verehrung an.
»O Ham, hör auf zu flirten.« Emma schickte den Hund auf seine Decke neben dem Herd, ehe sie mir gegenüber Platz nahm. Als ich ihr die Schale mit den Haferflockenplätzchen überreichte, leuchtete ihr Gesicht auf. »Da werden sich Derek und die Kinder aber freuen. Sie liegen mir dauernd in den Ohren, dass ich welche backen soll, aber ich bin einfach noch nicht dazu gekommen. Es macht Ihnen doch hoffentlich nichts aus, hier in der Küche zu sitzen?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, wo es gemütlicher sein könnte.«
Emma reichte mir eine Tasse Tee und schob dann den Steintopf herüber. »Himbeermarmelade vom letzten Sommer. Probieren Sie etwas davon in Ihrem Tee.«
Ich verrührte einen großzügigen Klecks in meiner Tasse, nahm einen Schluck und tat einen Seufzer des Entzückens. »Köstlich. Aber jetzt zu unserer gemeinsamen Freundin. Soll ich anfangen?«
Emma lächelte. »Derek sagt, dass mein Ord-nungssinn ihn manchmal zur Verzweiflung treibt, aber jetzt verstehe ich, was er meint. Ich kann gar nicht erwarten, alles zu hören, doch …«
»Immer schön der Reihe nach«, sagte ich. »Sie al-so zuerst.«
»Ja, das macht Sinn. Ich fürchte nur, es fällt mir sehr schwer, mich kurz zu fassen.«
»Lassen Sie sich Zeit«, sagte ich. »Ich hab’s nicht eilig.«
Emma brauchte einen Moment, um sich zu sam-meln, dann stützte sie sich auf die Ellbogen und lehnte sich vor. »Derek und ich kamen vor fünf Jahren nach Finch. Dimity hatten wir durch einen gemeinsamen Bekannten kennen gelernt, doch unsere Begegnungen waren immer nur kurz gewesen.
Es dauerte aber gar nicht lange, bis wir mehr über sie wussten. Der Bäcker erzählte uns, dass sie in ihrem Haus hier geboren und aufgewachsen war.
Vom Pfarrer erfuhren wir, dass sie auch nach dem Tod ihrer Eltern weiterhin hier wohnen blieb. Und vom Gemüsehändler wussten wir, dass sie sich gleich am ersten Tag, als der Krieg ausgebrochen war, freiwillig gemeldet hatte und bis zum Tag des Waffenstillstands in London Dienst tat.
In dieser Zeit musste sie die Erbschaft gemacht haben. Man erzählte sich, dass es sich um die Hinterlassenschaft eines entfernten Verwandten handelte. Mit dem Geld war es ihr möglich, in London das Stadthaus zu kaufen und sich in ihrer
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