und das geheimnisvolle Erbe
einem völlig anderen Thema ab – und nach diesem Schema ging es dann weiter. Jedes Mal, wenn sie auf ein gewichti-ges Thema wie Kochen oder Blumen zu sprechen kamen, schwankte meine Befindlichkeit zwischen einem drohenden Schlaganfall und Mordlust. Jetzt wusste ich, warum meine Mutter sie als etwas wirr bezeichnet hatte. Bill und Emma indessen blieben ruhig und steuerten das Gespräch mit bewun-dernswertem Geschick. Als die Schwestern sich ver-abschiedeten – selbstverständlich stereo –, wussten wir immerhin eine ganze Menge über die Gescheh-nisse nach Bobby MacLarens Tod.
Kaum hatte sich Dimity etwas erholt, war sie in den aktiven Dienst zurückgekehrt, aber sie blieb verschlossen, traurig und untröstlich. Als sie ein Jahr später jedoch wieder das Cottage besuchte, schien es, als ob sich die dunkle Wolke über ihr verzogen hätte. Der Grund dafür war die neue Freundin, die sie den Pyms vorstellte: meine Mutter. Die Schwestern Pym erkannten sofort, wie nahe sich die beiden jungen Frauen standen, und deshalb vertrauten sie meiner Mutter das Foto an. Sie wussten, dass meine Mutter es Dimity zurückgeben würde, sobald sie es für richtig hielt.
Die Pyms hatten Bedenken, dass sie vielleicht nicht lange genug leben würden, um es selbst zu tun. Egal wie heiter Dimity jetzt schien, auf ihrem Gesicht lag nach wie vor ein Schatten, der ihnen sagte, dass sie immer noch trauerte. Im Gegensatz zu den anderen Dorfbewohnern waren sie deshalb auch nicht weiter überrascht, dass Dimity so selten zu ihrem Haus zurückkam, nachdem sie die Erbschaft gemacht hatte.
Bald nachdem wir die Bruchstücke der Geschichte zusammengesetzt hatten, verabschiedete sich Emma, versehen mit unserem ehrlichen Dank und verschiedenen Leckereien für ihre Familie. Bill und ich räumten die Spülmaschine ein, dann setzten wir uns in den Wintergarten und sahen zu, wie es langsam dunkel wurde. Reginald saß immer noch mitten auf dem Tisch, sein welker Kranz aus Gänseblümchen hing ihm schief auf dem Kopf.
»Deine Mutter war eine bemerkenswerte Frau«, sagte Bill. »Es scheint, dass sie Dimitys Leben damals völlig umgedreht hat.«
»Nicht völlig«, erwiderte ich, »aber doch genü-
gend, um sie wieder auf die Beine zu bringen und nach vorn schauen zu lassen. Meine Mutter hielt sehr viel vom Vorwärtsschauen, sie erinnerte einen gern daran, dass alle Dinge auch ihre positiven Seiten haben.« Ich zog eine rote Rose aus der Vase und steckte sie Reginald zwischen die Pfoten. »Ich nehme an …«
»Was nimmst du an?«
»Lass mich einen Moment nachdenken. Was ich sagen möchte, lässt sich nicht so leicht in Worte fassen.« Ich stand auf und öffnete die Tür. Ein sanfter Windhauch trug das Zirpen der Grillen herein.
»Ich habe darüber nachgedacht, was du oben auf dem Berg gesagt hast – und ich habe auch weitergelesen.«
»Du hast die Briefe weitergelesen?«
»Ja, während du … im Whirlpool deinen Mus-kelkater gepflegt hast. Na ja, nach allem, was du dort gesagt hattest, musste ich es wohl. Ich habe gestern Abend noch ziemlich lange hier gesessen und Brief um Brief gelesen. Dabei ist mir etwas aufgefallen. Meine Mutter hat alles, was sie schrieb, in heiterem Ton verfasst. Selbst wenn sie von Dingen spricht, die sie schrecklich belastet haben müssen –
zum Beispiel, dass es zehn Jahre gedauert hat, bis sie schwanger wurde –, schreibt sie auf witzige Art und Weise, als ob es ihr nicht wirklich etwas ausmachte. Und so erinnere ich mich auch an sie, immer fröhlich und gut gelaunt.« Ich drehte mich um und hob abwehrend die Hand. »Verstehe mich nicht falsch, das ist kein Fehler. Stell dir nur vor, wie es Dimity geholfen haben muss.« Ich ließ die Hand sinken und sah hinaus in den Garten. »Aber ich bin mir gar nicht sicher, ob diese Eigenschaft auch für mich gut war. Es ist irgendwie nicht …
normal. Wie du schon sagtest, hat sie mir nie gezeigt, dass man auch un glücklich sein darf.« Ich schüttelte den Kopf. »Und das zu akzeptieren fällt mir ziemlich schwer. Ich dachte immer, sie hätte keine Schwächen.«
»Und findest du es jetzt schlimm, dass das nicht der Fall war?«
Ich saß da, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, und sah Bill an. »Das ist das Merkwürdigste daran, Bill. Mir macht es gar nichts aus. Fast ist es eine Erleichterung. Es ist nicht einfach, die Tochter einer vollkommenen Mutter zu sein.«
Bill lächelte verständnisvoll und nickte. »Der Sohn eines vollkommenen Vaters zu sein ist auch kein Spaß.
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