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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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tückischer, als man uns weisgemacht hat.«
    »Die Journalistin aus Deutschland war Regina, meine beste Freundin, aber du hast fast Recht. Die hat auch unter diesem Baum gesessen.«
    »Du, Liesel, jetzt mal im Ernst. Ist dir was?«
    »Was soll mir denn sein?«
    »Keine Ahnung. Aber bist du wirklich ganz okay? Seit gut einer halben Stunde redest du in dieser baumlosen Öde von einem Baum. Halluzinationen haben sonst nur Leute mit Sonnenstich. Oder mit viel Phantasie.«
    »Sei nicht albern. Kommen dir denn nie ganz plötzlich Erinnerungen aus deiner Kindheit hoch?«
    »Doch, aber andere. Ohne Baum und Strauch. Oder hast du vergessen, dass du einen Mann geheiratet hast, dem man am Wiener Westbahnhof die Kindheit gestohlen hat, als er zehn Jahr alt war?«
    »Mein Gott! Ich könnte mich ohrfeigen, Emil. Das ist mir noch nie passiert. Ich hab so viel Takt wie ein Fuchs im Hühnerstall. Du siehst, mir fällt noch nicht einmal ein passender Vergleich ein.«
    »Der war nicht übel. Ich mag Füchse und gönne jedem Einzelnen eine gute Hühnersuppe. Mit Knödeln. Mit den Matzeknödeln deiner Mutter. Nu, lach doch mal. Wir müssen uns nicht schämen, wenn wir mal für einen Augenblick vergessen, was auf die Dauer nicht zu vergessen ist.«
    »He, ihr beiden, wovon redet ihr eigentlich die ganze Zeit? Ist das die neue Geheimsprache für Eltern, die sich von ihren Kinder emanzipieren wollen? Früher, in den seligen Zeiten, als ich noch nicht schreiben und lesen konnte, habt ihr buchstabiert. Das hatte wenigstens Kultur.«
    Liesel erwartete, ihr Sohn würde schmollen, wie zuvor Rose, als ihr das Gespräch über die Schule missfallen hatte, doch David war über das Stadium hinaus, alles auf sich zu beziehen und jede Verfehlung von anderen als eine Kränkung zu registrieren. Er hielt dem forschenden Mutterblick stand. Seine Augen waren klar, die Haut, die sich sonst beim geringsten Missmut rötete, leuchtete hell im grellen Licht. Nur seine Stimme war lauter als sonst. »Warum«, fragte er, »gebt ihr beiden euch bloß immer so entsetzliche Mühe, vor euren Kindern eure Vergangenheit geheim zu halten. Ihr habt doch keine Bank ausgeraubt. Glaubt ihr, es ist ein Vergnügen, alles, was man wissen muss, um seine Eltern kennen zu lernen, in dem entsetzlichen Mischmasch von Granny zu erfahren. Trotzdem bin ich in letzter Zeit ganz schön vorwärts gekommen. Mein Vater Emil Procter hieß früher Prohaska und ist in Wien geboren, und mich wundert es sehr, dass er immer so fröhlich ist. Der Vater meiner Mutter war Bäcker in Cham-bayern. Sie haben ihn in ein Konzentrationslager gesperrt und seine Bäckerei kaputtgeschlagen, ehe er nach Kenia auswandern durfte. Granny hat mir das alles sehr genau geschildert. Oder denkt ihr, sie malt mit mir immer noch schielende Löwen und Flöten spielende Hunde, wenn ich stundenlang bei ihr bin? Von Granny habe ich nicht nur gelernt, Sauerkraut, Weißwurst und Hefezopf zu sagen. Ich kann auch Kristallnacht, Schutzhaft und Reichsfluchtsteuer. Das habe ich mir gedacht, dass euch das die Sprache verschlägt. Ich musste ziemlich lange üben, ehe ich das alles so verstanden hatte, dass es einen Sinn ergibt.« »Bist du sicher, dass wir das alles wissen wollen, Mister Meisterstreber?«
    »Bitte, Rose«, bat Liesel, »das ist jetzt wirklich nicht die Zeit für einen Familienstreit. Das musst du doch fühlen.« »Gratuliere, mein Sohn«, sagte Emil. Er sprach auffallend langsam, und schon das war ein Hinweis, wie berührt er war. »Ich weiß nicht, ob das eine Pointe war oder ein Coup oder einfach nur ein Hinweis darauf, dass Eltern im Allgemeinen sehr viel naiver und dämlicher sind, als sie sein sollten. Deine im Besonderen. Was ich allerdings ganz genau weiß: deine Mutter und ich sind tatsächlich sprachlos. Wir brennen darauf, allein zu sein und uns gemeinsam zu schämen.«
    »Noch mehr brenne ich darauf, hier endlich wegzukommen«, sagte Liesel leise. Sie erinnerte sich, wie ihre Eltern, Tanten und Onkel auf der Farm immer Deutsch gesprochen hatten, wenn sie keine Mitwisser wollten. Ihr wurde wehmütiger, als sie erwartet hatte. »Es wird verdammt schwer sein, sich hier mit Anstand zu verabschieden«, fügte sie hinzu. Sie flüsterte noch immer.
    »Kopf hoch«, sagte ihr Mann, »heute werden keine Gefangenen gemacht. Heute wird Pardon gegeben. Ich habe mich extra erkundigt.«
    Liesels Befürchtungen waren grundlos, der Aufbruch erfolgte spontan und ohne Peinlichkeit. Nur einen kurzen Augenblick wirkten die

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