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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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des Anglais saß, wo Pascal arbeitete, wurde das Meer kobaltblau und erzählte sehr schöne, wunderbar tröstende Geschichten. Auf der Promenade rauschten Palmen im Wind. Frauen in hellen Kleidern mit Blumenmustern und Hüten mit breitem Rand, die sie vor der Sonne schützten, flanierten und lachten. Keine von diesen Frauen hatte einen dicken Bauch. Sie küssten Babys, die in hohen Kinderwagen saßen, und streichelten kleine Hunde. Männer saßen auf Bänken und rauchten. Sie sahen alle heiter und wohl genährt aus, schauten aufs Meer und suchten den Horizont nach Schiffen ab. Die suchenden Männer lachten so laut, wie es die Besitzenden tun, die Hunger nur als einen Zustand zwischen zwei Mahlzeiten kennen. Eigentlich durfte Rose nicht auf der Promenade des Anglais sitzen. Das hatte ihr Pascal gleich am ersten Tag verboten, später, weil sie zu sehr gebohrt hatte, ihr auch - recht zögernd und sehr missmutig - den Grund erklärt.
    »Dort ist das Negresco und damit basta!«, hatte er gesagt. »Soll dich denn jeder sehen?«
    In der ersten Zeit hatte sich Rose an das Verbot gehalten, doch weil Pascals Laune ohnehin immer schlecht war, wenn er sie besuchte, hatten sie ihr Stolz und der Trotz der alten Tage auf die elegante Promenade getrieben. Und irgendwann hatte Rose festgestellt, dass sie dort weniger Sehnsucht nach Englands grauem Himmel hatte als beim Blick aus Madame Versagnes kleinem Fenster. Auf der breiten Promenade des Anglais, wenn vom Meer die Märchen an die weißen Bänke gespült wurden, ließ wenigstens für eine Stunde das Verlangen nach der scharfen Regenluft der Heimat nach, das Rose immer unsicherer machte. Allerdings waren es, das begriff sie bald, sehr trügerische und traurige Geschichten, die der Wind zu ihr herüberwehte. Rose war es, als würden diese Geschichten alle von jungen Frauen erzählen, die an den Zauber der Liebe geglaubt hatten und die entführt worden waren.
    Wann immer sie das Salzwasser roch und die Möwen schreien hörte, stellte sie sich vor, das barmherzige Meer, das von der Not der entführten Frauen wusste und ihnen wie eine verständnisvolle Mutter ihren Mutwillen verzieh, würde ein Schiff mit goldenen Segeln anschwemmen. Es war so groß wie die Hispaniola aus der »Schatzinsel« und noch viel schöner als die. An Bord spielte eine Kappelle, und Maria Callas, von der Rose’ Mutter so schwärmte, sang ihre Lieder. Das rettende Prachtgefährt legte in einer Vollmondnacht in Nizza an. Englisch flüsternde Wassernixen zogen das glitzernde Traumschiff an Land, und sie hielten es so lange fest, bis das Mädchen Rose an Deck kam. Sie wollte gerade niederknien und für ihre Rettung danken, doch der Kapitän gestattete es nicht. Er sah ihrem Vater verblüffend ähnlich und überreichte derjenigen, die so hieß wie die Königin der Blumen, eine echte englische Teerose. Bei Sonnenuntergang sang er mit Frank Sinatras wunderbarer Stimme die schönen Shantys, die Rose’ Klasse vor zwei Jahren für ein Sommerfest bei den Marineveteranen hatte einüben müssen. Weiter als bis zu der Begegnung mit dem sangesfrohen Kapitän träumte Rose nie. Sie hatte noch nicht genug Übung, um sich für längere Zeitläufte aus der Wirklichkeit wegstehlen zu können. Weil sie vom Leben verwöhnt worden war und angenommen hatte, sie würde nie komplizierte Entscheidungen treffen müssen, hatte sie Fluchten in die beschützte Welt, in der keine Irrtümer geschahen und es immer gerecht zuging, nie nötig gehabt.
    An der französischen Riviera lag es nicht, dass Rose bei Tag von rettenden Schiffen und vom Duft englischer Teerosen träumte und nachts von so vertrauten und zuverlässigen Mannsbildern wie Freddy Morton, die schlanke junge Frauen in knappen Lederröcken in so feine Örtlichkeiten führten wie das Café Royal in der Regent Street, wo die kleinen Verführerinnen so viele Gurkensandwiches und Schokoladeneclairs essen durften, bis sie das Wort Hunger noch nicht einmal hätten buchstabieren können. Frankreichs Riviera, seit altersher die Fluchtburg für jene, die am englischen Wetter und am englischen Leben litten, wurde ihrem Ruf durchaus gerecht. Täglich schien die Sonne, und es regnete nie länger als eine halbe Stunde. Die Landschaft tat ihr Bestes, um eine werdende Mutter zu trösten, die in körperlicher und seelischer Not war und die jeden neuen Tag so fürchtete, als müsse sie sich vor einem Weltgericht für die Erbsünde der Menschheit verantworten.
    Bereits Anfang März zeigte das

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