und das Goldene Dreieck
deutete auf den Jungen. »Das ist Anu. Er zeigt Ihnen den Weg. Ich leihe ihn Ihnen.« Anu lächelte vergnügt. Er hatte einen Jagdbeutel um die Schulter hängen, sehr keck, ein Buschmesser im Gürtel und die lange, fast bleistiftdünne Flinte über der Schulter. Schwarzes, gelocktes Haar umrahmte das runde, sehr dunkle Gesicht, aus dem die Augen verwegen blitzten. Als sie aus dem Haus traten, staunte Mrs. Pollifax über die Geschäftigkeit in der Einfriedung. Frauen stampften und siebten Reis, flochten Bambusstreifen, schleppten Eimer mit Wasser herbei - und alle trugen die gleiche Kopfbedeckung, die u coe hieß, wie Nouvak erklärte. Die Frauen blickten von ihrer Arbeit hoch und lächelten, offenbar in freudiger Erinnerung an den unterhaltsamen Abend.
Mrs. Pollifax hatte angenommen, daß Mornajay längst aufgebrochen war - es war immerhin schon sieben -, doch er kam gerade die Einfriedung hoch und sah auch jetzt wie aus dem Ei gepellt aus.
»Sie sind noch da?« sagte er überraschend freundlich. »Wohin wollen Sie heute?«
»Nach Westen«, antwortete Bonchoo.
»Westen!« Mornajay kniff die Augen zusammen. »Ziemlich gefährliches Gebiet! Haben Sie sich bei der Thai-Patrouille vergewissert, daß sich keine Aufständischen herumtreiben?«
Mrs. Pollifax sagte höflich: »Darf ich Sie daran erinnern, daß wir meinen Mann suchen? Haben Sie der Grenzpatrouille Ihr Vorhaben mitgeteilt?«
»Natürlich nicht! Sie hätten darauf bestanden, mir einen Führer mitzugeben, was ziemlich umständlich und - in meinem Fall - unnötig wäre.«
Sie schaute ihn forschend an. »Wir suchen meinen Mann. Was suchen Sie, Mr. Mornajay?«
Er zögerte kurz. »Ein vergessenes Kloster.«
»Ein was?«
»Ein vergessenes Kloster«, wiederholte er fest. »Ich sagte Ihnen doch, daß ich Bildberichterstatter bin. Wenn ich keinen dringenden Auftrag habe, mache ich Aufnahmen für einen Bildband über thailändische Tempel, Chedis und Kloster, mit erläuterndem Text über den Einfluß von Khmer, Indern und so weiter. Es würde bestimmt Aufsehen erregen, wenn ich Bilder von einem jahrhundertealten Kloster einfügen könnte, das außer mir niemand gesehen hat.«
»Wie kommen Sie darauf, daß es hier eines gibt?«
»Mein guter Mann«, antwortete Mornajay Bonchoo von oben herab. »Wie erfährt man denn etwas? Durch eingehende Nachforschungen - durch einen Hinweis in einem alten Manuskript, durch ein Zufallsgespräch mit einem Burschen von der Grenzpatrouille, der behauptete, im Dschungel darüber gestolpert zu sein. Nach allem, was ich eruieren konnte, dürfte das Kloster Mitte des dreizehnten Jahrhunderts gegründet worden sein, als Birma die Vorherrschaft hatte und buddhistische Mönche frei zwischen Ava in Birma und Chiang Mai in Thailand herumwanderten, das war ganz sicher noch vor der Mangrai-Herrschaft! Ich muß es finden und fotografieren!«
Mrs. Pollifax dachte, wie schade es war, daß er bei seinem Charakter alle vor den Kopf stieß, denn sie konnte seinen Enthusiasmus verstehen, ja, bewunderte ihn sogar ein bißchen. Als Bonchoo bemerkte, daß Nouvak Mornajay nicht verstanden hatte, erklärte er es ihm. Mrs. Pollifax fand, daß Bonchoo wieder mal belustigt wirkte, aber sie hatte nicht erwartet, daß der Dorfoberste den Kopf zurückwerfen und lachen würde. Der Verdacht kam ihr, daß beide mehr über dieses Kloster wußten, doch jetzt war wohl nicht die Zeit, dem nachzugehen. »Wir sollten aufbrechen«, meinte sie. »Ist Anu bereit?«
»Anu?« fragte Mornajay. »Wer ist Anu?«
»Unser Führer.«
Mornajay blickte sie erstaunt an. »Ich dachte, er ist Ihr Führer.« Er deutete auf Bonchoo.
»Nein«, entgegnete Mrs. Pollifax sanft. »Bonchoo ist ein Freund, kein Führer. Wenn Sie uns jetzt entschuldigen würden...« Sie zog Bonchoo zur Seite. »Was schulden wir ihnen für ihre Gastfreundschaft und daß sie uns Anu mitgeben? Ich bin ihnen so dankbar, daß ich vermutlich zuviel geben würde.«
Er schlug einen Betrag vor, und sie drückte ihm das Geld in die Hand. Das Gefühl blieb jedoch, daß es nicht genug war. So suchte sie Apha, während Bonchoo Nouvak das Geld gab. Sie fand sie, von Ferkeln umgeben, bei einem Trog, in den sie Futter leerte.
»Apha«, sagte sie. Die Frau blickte mit ihrem wie üblich scheuen, mysteriösen Lächeln hoch. Mrs. Pollifax wünschte sich plötzlich inbrünstig, sie könnte sie fragen, was sie dachte und fühlte, was hinter ihrem empfindsamen, abgehärmten Gesicht verborgen lag, wie das Leben als Akha frau in diesem
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