Und das Leben geht doch weiter
Tischplatte.
Detlev Padenberg schien sprachlos zu sein. Erst nach einer längeren Pause sagte er: »Trinken Sie doch einen, Herr Kosten, Sie würden mir damit eine Freude machen.«
Jens blickte zögernd das Glas an.
»Bei Ihnen scheint es sich ja wirklich um eine große Liebe zu handeln«, fuhr Detlev fort.
»Ja«, sagte Jens ganz leise, aber gerade deshalb absolut glaubhaft.
»Daran habe ich bisher gezweifelt.«
»Carola anscheinend auch«, meinte Jens seufzend. »Zum Wohl, Herr Kosten.« Detlev hob sein Glas und leerte es.
Stumm folgte Jens dem Beispiel des älteren. Es sträubte sich allerdings noch viel in seinem Innern, in Herrn Padenberg einen Gastgeber zu sehen.
In der nun eintretenden Stille stopfte sich Padenberg eine Pfeife, zündete sie an, stieß ein paar mächtige Rauchwolken aus, erhob sich und ging einige Male auf und ab. Es waren nur wenige Schritte, die ihm der enge Raum erlaubte. Dann setzte er sich wieder hin.
»Hören Sie, Herr Kosten«, sagte er, »ich will mit Ihnen reden. Nehmen Sie vorab zur Kenntnis, daß ich Ihnen Carola nicht abspenstig machen möchte …«
»Nicht?« rief Jens ungläubig.
»Entscheidend ist, ob sie Ihnen überhaupt gehört – aber das müssen Sie mit ihr ausmachen.«
»Herr Padenberg, dem hat noch vorauszugehen, daß Sie aus Carolas Leben verschwinden. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Natürlich. Aber lassen Sie sich sagen, daß ich das schon versucht habe, als ich mich am Eibsee klammheimlich aus Carolas Blickfeld entfernt habe. Das war nicht schön von mir, aber eine wohlüberlegte, mir selbst schwer abgerungene Handlung. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was Carola, dieses hinreißende junge Mädchen, in mir, einem Mann, der längst einer anderen Generation angehört, noch einmal alles entfacht hat. Vielleicht machen Sie in zwei Jahrzehnten eine ebensolche Erfahrung, eher können Sie Empfindungen dieser Art nicht beurteilen. Ich wünsche sie Ihnen nicht. Ich kann Ihnen auch nicht sagen, was jetzt, in diesen Augenblicken, da ich so zu Ihnen spreche, in mir vorgeht, denn …«
Das Telefon schrillte. Padenberg wollte nicht abheben, er winkte mit der Hand ab. Nach dem sechsten Läuten kapitulierte der Architekt jedoch.
»Padenberg.«
Keine Antwort.
»Deichbauleitung in Süderhöft – Padenberg.«
Nichts.
»Hallo, verdammt noch mal, wer ist denn da?«
Die Leitung, in der ohne jeden Zweifel wieder jemand war, blieb still.
»Sie können mich mal …«, sagte Padenberg wutentbrannt und warf den Hörer auf die Gabel.
Das sei heute schon das fünftemal, übertrieb er, zu Kosten gewandt, um eine Erklärung für seine Unbeherrschtheit zu liefern.
»Wo waren wir stehengeblieben?« fragte er, sich mit der Hand über die Stirn streichend. »Ach ja, daß ich aus Carolas Leben verschwinden will bzw. wollte. Aber dann hat sie mich gesucht und tauchte gestern hier auf, genau wie Sie heute. Und nun fängt also das Ganze noch einmal von vorne an, denn es ist mir klar, daß ich das Carola schuldig bin, auch wenn sie selbst das im Moment noch ganz und gar nicht einsehen will. Eine Verbindung mit mir wäre ein Unglück für uns beide. Und das würde viel schneller der Fall sein, als sie glaubt. Möchten Sie noch einen Schnaps?«
»Ja, gern, Herr Padenberg.«
Während Detlev die Gläser füllte, meinte Jens: »Sie sind ganz anders, als ich Sie mir …«
Er brach mitten im Satz ab.
»Sagen Sie's ruhig«, ermunterte ihn Padenberg. »Als Sie sich mich vorgestellt haben, nicht wahr? Nämlich als Schwein, als einen Lustgreis, der sich junge Mädchen unter den Nagel reißt …«
»Nein, nein«, widersprach Jens, »ich wußte ja bis heute nicht, daß Sie schon ein älterer Mann sind.«
»So? Hat Ihnen Carola das verschwiegen? Nett von ihr. Aber warum hat sie das getan? Sehen Sie, das ist doch sehr bezeichnend. Weil sie sich an diesem Punkt, meinem Alter nämlich, selbst stieß. Oder warum sonst?«
Jens zuckte die Achseln. Ich weiß es nicht, sollte das heißen. In Wirklichkeit wußte er es sehr gut und stimmte Padenberg insgeheim zu.
Detlev fuhr fort: »Machen Sie aber jetzt nicht den Fehler, in mir plötzlich einen Engel zu sehen. Ich bin weder das eine noch das andere, sondern ein ganz normaler Mann von einundvierzig Jahren, mit allen Fehlern und Tugenden behaftet, einer, der mit einem himmlischen neunzehnjährigen Mädchen noch einmal ein Wunder erlebt hat. Nur wenigen ist das vergönnt. Die Erinnerung daran werde ich mir bis zu meinem Lebensende als etwas Heiliges
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