Und dennoch ist es Liebe
Stiel!
»Was zum Teufel machen Sie da?«, brüllte er und riss ihr seinen Sohn aus den Armen. Max streckte die Hand nach dem Eis aus, doch dann erkannte er, dass sein Vater wieder zurückgekehrt war, und er vergrub sein verschmiertes Gesicht an Nicholas’ Hals.
»Sie müssen Dr. Prescott sein«, sagte das Mädchen unbeeindruckt. »Ich bin Dawn. Ich habe Max seit heute Mittag.« Sie öffnete die Wickeltasche und holte die einzige Milchflasche heraus, die Nicholas mit ins Krankenhaus gebracht hatte. Sie war knochentrocken. »Die hatte er schon um zehn Uhr heute Morgen leer, wissen Sie?«, tadelte sie ihn. »Ich musste ihn zur Milchbank bringen.«
»Zur Milchbank?« Kurz musste Nicholas an Kühe denken, die Geld auf die Bank tragen. Dann erinnerte er sich, dass es in der Pädiatrie eine Einrichtung gab, wo Mütter ihre Milch spenden konnten, um Frühgeborene über die Runden zu bringen.
Er schaute sich das Mädchen noch einmal genauer an. Sie war intelligent genug gewesen, um für Max etwas zu essen zu finden. Himmel, sie hatte sogar gewusst, dass er hungrig gewesen war, etwas, das Nicholas noch nicht einmal sicher wusste. Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch, und sie faltete das Eiscremepapier wie eine Serviette. »Es hat ihm geschmeckt«, erklärte sie zu ihrer Verteidigung. »Ein wenig Eis schadet Kindern nicht – nicht, wenn sie schon drei Monate alt sind.«
Nicholas starrte sie an. »Woher wissen Sie das alles?«, fragte er. Dawn schaute ihn an, als wäre er verrückt. Nicholas beugte sich verschwörerisch vor. »Wie viel verdienen Sie mit Ihrer Arbeit hier?«
»Verdienen? Ich verdiene gar nichts. Deshalb bezeichnet man uns ja auch als ehrenamtliche Mitarbeiter.«
Nicholas nahm ihre Hand. »Wenn Sie morgen wieder zurückkommen, werde ich Sie bezahlen. Vier Dollar die Stunde, wenn Sie auf Max aufpassen.«
»Donnerstags habe ich keinen Dienst. Nur montags und mittwochs. Donnerstags übe ich mit meiner Band.«
»Sie haben doch sicher Freundinnen.« Nicholas blieb hartnäckig.
Dawn stand auf und trat ein Stück von den beiden zurück. Nicholas hob die Hand, als wolle er sie aufhalten. Er fragte sich, wie er für sie wohl aussehen mochte: ein müder, derangierter Chirurg, verschwitzt und mit wildem Blick, der ein Baby vermutlich noch nicht mal richtig halten konnte. Ja, wie hielt man eigentlich ein Baby richtig?
Eine Sekunde lang glaubte Nicholas, die Kontrolle zu verlieren. Er sah sich selbst schon zusammenbrechen und schluchzend die Hände vors Gesicht schlagen. Er sah Max auf den Boden fallen und sich den Kopf am Stuhl aufschlagen. Er sah, wie seine Karriere den Bach hinunterging und sich seine Kollegen verschämt von ihm abwandten. Und seine einzige Rettung war das Mädchen vor ihm, ein Engel halb so alt wie er. »Bitte«, murmelte er. »Sie verstehen nicht, wie das ist.«
Dawn streckte die Arme nach Max aus und warf sich die Wickeltasche über die schmale Schulter. Dann legte sie Nicholas die Hand in den Nacken. Und ihre Hand war wunderbar kühl, wie ein Wasserfall, und sanft wie eine Sommerbrise. »Fünf Dollar«, sagte sie, »und ich werde mal sehen, was ich tun kann.«
K APITEL 23
P AIGE
Wäre Jake nicht bei mir gewesen, ich hätte nie einen Fuß in das Büro von Eddie Savoy gesetzt. Es lag dreißig Meilen außerhalb von Chicago, mitten auf dem Land. Das Gebäude war kaum mehr als ein brauner verwitterter Verschlag, ein Anbau einer Hühnerfarm. Der Gestank von Geflügelkot war kaum zu ertragen, und Federn klebten an meinen Autoreifen, als ich ausstieg. »Bist du sicher?«, fragte ich Jake. »Du kennst diesen Kerl wirklich?«
In diesem Augenblick stürmte Eddie Savoy aus der Tür und riss sie dabei fast aus den Angeln. »Flan-Man!«, rief er und drückte Jake grob an sich. Dann lösten sie sich wieder voneinander und schüttelten sich auf eine seltsame Art die Hände, die mich an balzende Vögel erinnerte.
Jake stellte mich Eddie Savoy vor. »Paige«, sagte er, »Eddie und ich waren zusammen im Krieg.«
»Im Krieg«, wiederholte ich.
»Im Golfkrieg«, erklärte Eddie stolz. Seine Stimme klang rau wie ein Schleifstein.
Ich drehte mich zu Jake um. Der Golfkrieg? Er war in der Army gewesen? Das Sonnenlicht fiel auf seine Wangen und ließ seine Augen fast durchsichtig wirken. Wie viel hatte ich eigentlich verpasst, was Jake Flanagan betraf?
Als ich Jake davon erzählte, dass ich Max und Nicholas verlassen hatte, um meine Mutter zu suchen, hatte ich erwartet, dass er überrascht sein
Weitere Kostenlose Bücher