Und der Basilisk weinte (German Edition)
Zelle heraus, über den Anwalt, der seine Anweisungen ausführte und die anderen bei der Stange hielt. Ich würde ihn als Letzten umbringen. Einerseits, weil ich mir den fettesten Braten bis zum Schluss aufbewahren möchte. Andererseits …», Meister machte eine Kunstpause, «andererseits, weil es ein Spiel ist.»
«Ein Spiel? Ich verstehe nicht ganz», wunderte sich Nadine.
«Stähli weiss inzwischen, dass es jemand auf ihn abgesehen hat. Der Mörder spielt mit ihm Katz und Maus. Es liegt ihm viel daran, Stähli leiden zu sehen. Tag für Tag. Denn überall sieht Stähli seinen potenziellen, ihm vermutlich unbekannten Mörder. Vielleicht bringt er ihn gar nicht um, sondern treibt ihn gezielt in den Wahnsinn.»
«Nochmals, bist du sicher, dass du Gissler nicht ermordet hast?»
«Wenn es so wäre, würdet ihr mich nicht erwischen. In jedem von uns steckt kriminelle Energie. Wer das ganze Leben lang auf der guten Seite gestanden hat, all die Ungerechtigkeiten mit ansehen, die Machtlosigkeit im Namen des viel gepriesenen Gesetzes spüren musste, der möchte vielleicht für einmal zu den Bösen gehören. Hast du diesen Wunsch noch nie verspürt, Francesco? Sei mal ganz ehrlich.»
Ferrari sass nachdenklich da. Natürlich kannte er diese Gedanken. Graue Schwaden, die leise und meist unbemerkt aufzogen. Die Versuchung des Überlaufens, der Reiz des Bösen … Das Gespräch lief aus dem Ruder, drohte erneut ins Philosophische abzudriften. Was war real? Wurde möglicherweise aus einem Gedankenspiel brutale Realität?
«Ich wäre im Übrigen kein Mörder, Francesco. Sondern ein Richter, der die vier Mörder ihrer gerechten Strafe zuführt. Kennst du den Film ‹Ein Richter sieht rot› mit Michael Douglas?», unterbrach Meister die Stille.
«Bin mir nicht sicher. Sind das die Richter, die im Geheimen Täter verurteilen und umbringen lassen, die durch die Maschen des Gesetzes gefallen sind?»
«Exakt. In unserem Fall müsste es heissen: ‹Ein Polizist sieht rot›. Kommissäre, die in Rente sind, bilden einen geheimen Zirkel. Nehmen alte, ungeklärte Fälle auf und üben Selbstjustiz.»
«Du machst mir Angst, Bernie.»
«Ach was, Francesco. Das ist doch nur ein Spass. Du nimmst noch immer alles zu ernst.»
«Nochmals zurück zu den möglichen Tätern. Wer kommt in Frage?»
«Wie gesagt, die Fahrners, allen voran Elisabeth. Oder es hat nichts mit dem Fall vor fünfzehn Jahren zu tun und Gissler wurde aus anderen Gründen ermordet.»
Ferrari erhob sich. Er trank im Stehen den längst kalt gewordenen Kaffee aus.
«Vielen Dank für deine Zeit, Bernie. Dein Geist hat nichts an Schärfe eingebüsst. Alle Achtung. Es wäre schön, wenn ich das eines Tages von mir auch sagen könnte.»
Meister drückte ihm fest die Hand.
«Es war eine meiner besten Taten, dich als meinen Nachfolger vorzuschlagen, Francesco. Wir sollten uns öfters treffen und fachsimpeln. Das hat mir wirklich gut getan. Besucht mich wieder, wenn ihr mehr in Erfahrung gebracht habt.»
Nadine und der Kommissär unterhielten sich angeregt und stiegen in den erstbesten Bus, den sie erwischten. Prompt fuhren sie in die falsche Richtung.
«Ha! Du benutzt doch andauernd die viel gepriesenen öffentlichen Verkehrsmittel. Dass ich nicht lache. Weshalb haben wir keinen Streifenwagen genommen?»
«Weil ich nicht daran gedacht habe.»
«Na prima. So verlöffeln wir praktisch den halben Tag. Wohin fahren wir jetzt eigentlich?»
«Nach Liestal. Dort lösen wir zwei Bahntickets und fahren zum Bahnhof SBB zurück. Alles halb so wild.»
Es war ein gutes Gefühl, im Zug sitzend die Landschaft an sich vorüberziehen zu lassen. Ferrari gab sich seinen Gedanken hin. Wenn Bernhard Meister recht hatte, müsste die Polizei die anderen drei unter Polizeischutz stellen, falls sie aufgefunden werden konnten. Was ist, wenn Meister selbst etwas mit dem Mord an Gissler zu tun hat? Unsinn! Er hat ein Leben lang für die Gerechtigkeit gekämpft, war stets integer. Über jeden Zweifel erhaben. Da wird er nicht gegen Lebensende die Seite wechseln. Wäre es denn aus seiner Sicht überhaupt ein Wechsel? Will er sein angefangenes Werk einfach vollenden und der Gerechtigkeit endlich zum Sieg verhelfen? Die klaren Gedanken, die präzisen Vorstellungen des alten Mannes beeindruckten und verwirrten den Kommissär zugleich. Hat er sich nur nochmals ins Zeug gelegt, um zu beweisen, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört?
«Haben wir soeben die Choreografie eines Rachefeldzuges
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