und der blaue Diamant
»Sag mal, mußt du nicht mal bei deinen Eltern Bescheid sagen? Weiß deine Mutter denn, daß du hier mit uns zu Abend ißt?«
Micki sah auf seinen Teller. »Ich habe gar keine Mutter mehr«, sagte er, »das heißt, meine Eltern sind geschieden. Ich habe meine Mutter seit zwei Jahren nicht mehr gesehen.« Die anderen schwiegen betreten. Georg räusperte sich. Mit sanfter Stimme sagte sie: »Das tut mir leid, Micki. Das muß ja ziemlich schlimm für dich sein.«
Micki lächelte tapfer. »Ach … es geht«, sagte er. »Hier sind ja so viele Leute, da fühlt man sich nicht einsam. Obwohl ich meinen Vater nur selten sehe. Er sitzt immer über seinen. Forschungen und will nicht gestört werden. Ich glaube, er ist froh, wenn er mich nicht sieht.«
Georg nickte mitfühlend. »Das kenne ich«, sagte sie, »genau so ist mein Vater. Er hält uns Kinder für Nervensägen. Am besten gefällt es ihm, wenn wir auf Zehenspitzen durch das Haus schleichen und flüstern.«
»Ich glaube«, sagte Micki seufzend, »daß alle Wissenschaftler gleich sind. Die denken bloß immer an ihre Forschungen. Etwas anderes interessiert sie gar nicht … « Er stockte plötzlich und sah sich um. »Habt ihr etwas gehört?« fragte er. Georg schüttelte den Kopf. »Nein, was denn?«
»Grillenzirpen.«
»Grillenzirpen? Was ist denn Besonderes daran?«
»Das ist ein verabredetes Zeichen zwischen Jean, meinem Freund, und mir. Abends, wenn ich schon in meinem Zimmer bin und er noch mit mir sprechen möchte, dann zirpt er immer wie eine Grille. Da!« Er sprang auf. »Jetzt hab ich es wieder gehört!«
Die anderen sahen sich an. »Ich höre nichts«, sagte Anne enttäuscht. »Grillen zirpen doch auch nur ganz leise, oder?«
Micki war ganz aufgeregt. Er winkte den anderen zu. »Ich komme gleich wieder«, rief er fröhlich. »Es ist Jean. Er will mir bestimmt nur etwas sagen.«
Mit drei Sätzen war er im Obstgarten verschwunden. Die Kinder hörten ihn noch zweimal gedämpft »Jean! Jean!« rufen. Dann war er in der Dunkelheit verschwunden.
Tim hatte seinen Knochen losgelassen. Er erhob sich, richtete seine Ohren af und horchte. Plötzlich begann er zu knurren. »Wuff!« machte er. »Wuff!« Er rannte zu Georg und stieß sie mit der Schnauze an. Aufgeregt zerrte er an ihrem Hosenbein. Georg schüttelte ihn ab. »Laß das, Tim!« sagte sie ärgerlich. »Was ist denn los?«
Tim wedelte mit dem Schwanz und lief ein paar Schritte in Richtung auf den Obstgarten zu. Wieder bellte er. Sein Knurren klang noch ein bißchen gefährlicher. Julius lachte. »Wahrscheinlich hat er Jean gerochen. Den kann er anscheinend überhaupt nicht leiden. Paßt auf, er wird ihn noch mal beißen, das sehe ich schon kommen.«
»Tim!« rief Georg ärgerlich. »Komm sofort hierher, Tim!« Tim gehorchte nur sehr widerwillig. Mit eingezogenem Schwanz kam er zurückgetrottet und legte sich zwei Meter entfernt von Georg auf den Boden, den Kopf immer noch in Richtung Obstgarten, wo Micki verschwunden war. Es war auf einmal ganz still Man hörte den Wind, der leise durch die Blätter strich, und irgendwo, weit entfernt, bellte ein Hund. Eine Eule schrie zweimal kurz und verstummte. Anne fröstelte plötzlich. »Mir ist kalt«, sagte sie leise. »Unsinn«, meinte Julius. »Wie kann dir kalt sein, wo wir mindestens noch zweiundzwanzig Grad haben! Hier in Südfrankreich ist es ja abends noch wärmer als bei uns am Mittag.«
»Still!« zischte Georg. »Ich glaube, ich habe eben etwas gehört!«
Alle hielten die Luft an. Aber es war totenstill. »Was hast du denn gehört?« fragte Richard flüsternd. »Ich weiß nicht … ich dachte, ich hätte Mickis Stimme gehört … « Sie schüttelte den Gedanken ab. »Aber vielleicht habe ich mich auch geirrt.« Sie zog die Puddingschüssel zu sich heran. »Am besten ist, wir essen alle noch etwas. Dann vergeht die Zeit schneller, bis Micki wiederkommt.«
Eine Viertelstunde verging, eine halbe Stunde. Aber Micki kam nicht zurück. Clementine erschien in der Küchentür. Sie strahlte die Kinder an. »C'était bon?« fragte sie freundlich. »War es gut?«
Die Kinder nickten. Julius streckte seinen Bauch raus und hob sein Polohemd. »So viel habe ich gegessen!«
Anne überlegte fieberhaft, was wohl Melonensalat auf französisch hieß, aber natürlich fiel ihr die Vokabel nicht ein. Sie zeigte verlegen auf die Schüssel und stotterte: »La salade était très bon!«: »Merci, ma chérie«:, lachte Clementine. Sie sah die Kinder der Reihe
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