und der blaue Diamant
wie Ihr Großvater? Das ist doch nicht gerecht!«
Der Baron nickte. »Das war auch nicht gerecht, mein Junge, und deshalb hat es ja später die großen Aufstände und Revolutionen gegeben. Aber für Leute wie meinen Großvater war es noch selbstverständlich, daß es solche Klassenunterschiede gab. Wir hatten ja auch in England immer auf einem sehr großen Landsitz gelebt.«
Die Kinder nickten. Julius wollte zwar noch etwas erwidern, aber als er einen Rippenstoß von Richard einfing, ließ er es lieber bleiben und hörte weiter zu. »Zu den Freunden meines Großvaters zählte ein indischer Maharadscha, ein steinreicher Mann aus einer alten indischen Adelsfamilie. Dieser Maharadscha hatte ein Gut und ein Jagdschloß in Jamshedpur, ungefähr vierzig Kilometer von Kalkutta entfernt. Und wenn es besonders heiß war, über vierzig Grad, wo kein Mensch mehr Lust zum Arbeiten hatte, dann holte der Maharadscha meinen Großvater in seiner Kutsche ab und fuhr mit ihm auf das Jagdschloß.«
»Toll«, sagte Anne, »ich kann mir das richtig vorstellen. Der Maharadscha mit einem Turban und einem großen Diamanten auf der Stirn und alle Diener weiß gekleidet.«
»So ähnlich wird es gewesen sein«, lächelte der Baron. »Leider existieren keine Bilder aus der Zeit, deshalb kenne ich die Geschichte auch nur aus Erzählungen.«
»Was war nun mit dem Tiger?« fragte Richard ungeduldig. »Ja also, der Tiger. Seit drei Jahren schon erzählte man sich in Jamshedpur, daß ein böser Tiger um die Dörfer strich, Menschen anfiel und verschleppte. Das war eine schlimme Sache, und es wurden viele Opfer gebracht und viele Jäger in das Tal geschickt, um den Tiger zu töten, aber nie hat einer ihn gesehen. Es wurde dann auch wieder ruhiger, der Tiger ließ sich lange Zeit nicht blicken, so daß die Leute dachten, er sei tot und man brauche keine Angst mehr zu haben. Als mein Großvater nun eines Tages mit dem Maharadscha zur Jagd fuhr, da durfte auch die kleinste Tochter des Maharadschas mit, ein süßes Mädchen, das acht Jahre alt war und Rashna hieß.«
»Wie schön«, sagte Anne, »So möchte ich auch lieber heißen.«
»Rashna hatte Geburtstag, und ihr zu Ehren sollte es in einem Palmenhain ein Picknick geben. Alles war schon vorbereitet. Mein Großvater hatte den Terrier mitgebracht, und Rashna verliebte sich sofort in den putzigen Hund, der ein paar Kunststücke beherrschte. Zum Beispiel konnte er auf den Hinterbeinen tanzen und durch einen Reifen springen … also das hat der Kleinen sehr gefallen, und deshalb hielt sie ihn auch während des Picknicks immer an der Leine. Es war sehr heiß, und alle wurden nach dem reichhaltigen Essen ein bißchen müde, die Diener wedelten mit Palmblättern, und mein Großvater erinnerte sich, daß alle langsam einschliefen. Plötzlich wachte er auf und stellte fest daß das kleine Mädchen und der Hund weg waren.«
»Wie hieß denn der Hund?« fragte Georg mit leuchtenden Augen. Der Baron runzelte die Stirn. »Komisch, ich hab den Namen vergessen … ich glaube, Snob oder so ähnlich. Nennen wir ihn Snob.«
»Okay«, sagte Georg. Insgeheim hatte sie gehofft, daß der Hund mit den tollen Kunststücken vielleicht Tim geheißen hatte, aber das war natürlich Unsinn. Früher hießen die Hunde eben noch nicht Tim. »Also, mein Großvater sprang sofort auf und pfiff nach dem Hund. Er fragte die Diener, aber sie hatten auch nicht aufgepaßt, was natürlich schlimm war, da man ein kleines Mädchen nicht alleine hätte weglaufen lassen dürfen. Es war gefährlich. ›Snob! Snob!‹ rief mein Großvater immer wieder. Er entfernte sich auf der Suche nach dem Hund und dem Mädchen immer weiter vom Picknickplatz. Plötzlich blieb er stehen. Erhörte ein merkwürdiges Fauchen und Knurren und Kratzen und Krachen. ›Snob!‹ schrie er ›Snob!‹ Und wirklich! Da bellte der Hund einmal kurz. Mein Großvater besann sich nicht lange, sondern rannte in die Richtung, aus der er die Geräusche gehört hatte. Er kam an ein Flußbett, das. ganz überwuchert war mit Lianen und exotischen Blumen. Als er halb. im Wasser war, entdeckte er Snob. Das Wasser hatte sich schon ganz rot gefärbt von Blut.« Anne, die der Erzählung mit offenem Mund gefolgt war, schluchzte plötzlich und hielt die Hände vor die Augen. »Mein Großvater traute seinen Augen nicht: Snob kämpfte mit einem Tiger! Mit einem Tiger, der einen riesigen Kopf hatte und Pranken so groß wie Bärentatzen.«
Julius deutete auf den Tigerkopf an
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