und der blaue Diamant
sagte Julius, »werde ich den Zettel in meinem Zimmer aufbewahren. Wenn wir Micki das nächste Mal treffen, können wir ihn ja fragen.«
Georg hatte sich auf das Fensterbrett gesetzt. Sie starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit hinaus. Irgendwo, ganz weit entfernt, blinkte ein Licht auf. Ob man von hier aus das Mittelmeer sehen konnte? Ob das ein Leuchtturm war, der so blinkte? Plötzlich mußte sie an ihre Felseninsel denken, und sie wurde ganz traurig bei dem Gedanken, daß sie ihre geliebte Insel in diesen Ferien überhaupt nicht wiedersehen würde …
»He! Georg!« Anne stieß sie an. »Was machst du denn für ein Gesicht? Woran denkst du denn?«
»Ach, an nichts«, sagte sie träumerisch, »mir ist bloß eben meine Felseninsel eingefallen … ob es bei uns jetzt wohl auch so warm ist wie hier?« Sie zeigte auf das Licht, das gerade wieder sichtbar wurde. »Schaut mal, das sieht genauso aus wie bei uns zu Hause, wenn der Leuchtturm blinkt. Da hinten das Licht! Ich wette, das ist das Meer.« Die anderen traten auch ans Fenster. Aber so sehr sie sich anstrengten, sie konnten kein Licht erkennen. »Ich kann nichts sehen«, sagte Julius schließlich. »Außerdem ist die halbe Stunde um, und wir müssen zum Baron.«
Das Arbeitszimmer des Barons lag genau über dem Speiseraum im ersten Stock. Es war ganz mit Holz getäfelt, und ungeheuer viele Bücher standen in den Regalen. In einer Ecke entdeckten die Kinder einen alten Globus und dann noch einen anderen Globus, auf dem viele Sterne eingezeichnet waren. Auf dem Boden lagen Zebrafelle, und rechts auf dem Kamin stand ein alter persischer Samowar. Rechts auf einem Tisch war eine ganze Herde Elefanten aufgebaut, die hintereinander in einer Reihe marschierten, vorn die größeren, und nach hinten wurden sie immer kleiner. »So viele Elefanten«, rief Anne begeistert, »habe ich noch nie gesehen! Nicht einmal in dem Geschäft in London, wo sie lauter afrikanische und indische Sachen verkaufen.«
»Sie sind von meinem Großvater«, erklärte der Baron, der mit seiner Pfeife in einem Ledersessel saß und sich ein Glas Portwein einschenkte. »Er hat sie von den Eingeborenen geschenkt bekommen, in Somalia. Sie sind alle aus Ebenholz.«
Er zeigte auf einen ausgestopften Tigerkopf, der rechts an der Wand hing und den die Kinder bisher noch gar nicht entdeckt hatten, weil es dort so dunkel war. Und das«, sagte er, »ist der Tiger von Jamshedpur. Ein Tiger, der mehr als fünfzehn Menschen getötet hat.«
Schaudernd traten die Kinder näher an den Kopf heran. Das Maul war weit geöffnet, und man konnte die scharfen großen Zähne sehen. Sogar Tim starrte ehrfürchtig auf das Gebiß. Er winselte leise und wollte hinter Georg Schutz suchen. »Du bist ein schlauer Hund«, lachte der Baron. »Du siehst genau, daß man gegen so einen Tiger keine Chance hat, wie? Wenn mein Großvater so einen Hund wie dich gehabt hätte, wäre das auch nicht passiert, davon bin ich überzeugt. Aber er hatte ja diesen frechen übermütigen Terrier, der glaubte, stärker zu sein als zehn Elefanten! Der griff ja sogar die Zebras an, hat mein Großvater erzählt, der hatte vor keinem Tier Respekt.« Er lehnte sich lächelnd zurück und zog an seiner Pfeife. »Na ja, und so hat ja auch die Sache mit dem Diamanten angefangen.«
Die Kinder drehten sich aufgeregt zu ihm um. »Oh ja«, bettelte Anne, »erzählen Sie.«
Der Baron wartete, bis die Kinder es sich alle auf dem Zebrafell bequem gemacht hatten. Das heißt, Georg weigerte sich, auf dem Fell Platz zu nehmen. »Mir tut das arme Zebra so leid«, sagte sie. »Sicher haben irgendwelche dummen Jäger es einfach erschossen, obwohl es nie, man dem etwas getan hat. Ich kann Jäger überhaupt nicht leiden!«
Der Baron lachte. »Gut, daß mein Großvater das nicht gehört hat! Er wäre bestimmt ziemlich wütend geworden und hätte dir einen langen Vortrag darüber gehalten, warum Jäger sehr wichtig und nützlich sind. Aber lassen wir das.« Er paffte ein paar Rauchkringel in die Luft. »Ich fange am besten mit meinem Großvater an … Er war englischer Botschafter gewesen. Damals war Indien noch eine englische Kolonie, die vom Mutterland Großbritannien verwaltet wurde. Mein Großvater bekam ein wunderschönes großes Haus in Kalkutta, mit zwanzig Dienern, Köchen und Gärtnern. Er lebte wirklich wie im Paradies.«
»Aber ich denke, in Indien sind die Menschen so arm«, warf Julius erstaunt ein. »Wie können denn da manche so vornehm leben
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