Und der Herr sei ihnen gnädig
ist er nicht ihr Freund.«
»Ah, jetzt verstehe ich. Hat David dir das gesagt?«
Sie gab ihm keine Antwort. Als ich einen Blick zu Louise hinüberwarf, sah ich, dass sie ganz aufrecht dasaß und nervös an ihren Händen herumknetete.
»Ein anderer Junge?«
Sie schwieg.
Oben hörten wir Ella ein paar Gurgellaute ausstoßen. Vielleicht hatten wir zu laut gesprochen.
Louise stand sofort auf. »Entschuldigen Sie mich.«
Sarah machte Anstalten, ihr zu folgen, aber ihre Schwester sagte, sie solle sitzen bleiben.
»Aber sie ist mein Baby«, protestierte Sarah.
»Wenn sie wach ist, bringe ich sie dir. Bleib einfach sitzen, ja?«
Sarah widersprach ihr nicht, wirkte aber eingeschnappt. Decker wartete, bis Louise gegangen war. Dann sagte er lächelnd zu Sarah. »Ein so hübsches Mädchen wie du hatte bestimmte schon mindestens... hundert Freunde.«
Sarahs Gesicht entspannte sich ein wenig. »Nein.«
»Fünfzig?«
»Nein.«
»Fünfundzwanzig?«
Sie versuchte ein Lächeln zu unterdrücken. »Nein.«
»Aber bestimmt mehr als einen. Da bin ich ganz sicher.«
Nun musste sie doch lächeln. »Vielleicht.«
»Und deine anderen Freunde... haben die dich gekitzelt?«
»Vielleicht.«
»Vielleicht, hm?« Dad zog eine lustige Grimasse und sagte mit einer Singsangstimme: »Ich wette, das haben sie.« Sarah kicherte.
»Haben sie auch Sex mit dir gehabt?« Schlagartig hörte Sarah zu lachen auf.
»Sarah«, fuhr Decker fort. »Erinnerst du dich an unser letztes Gespräch? Als ich dir gesagt habe, dass es in Ordnung ist, Geheimnisse zu verraten, wenn es schlimme Geheimnisse sind?«
Sie schwieg.
»Wenn du mit einem Mann Sex hattest, dann ist es ganz okay, wenn du mir davon erzählst. Auch wenn er gesagt hat, du darfst ihn nicht verraten.«
Sie drehte den Kopf zur Seite.
»Bitte, Sarah. Du musst mir vertrauen. Du kannst mir alles erzählen. «
»Aber er war mein Freund.« Mittlerweile hatte sie feuchte Augen. »Und dann hat er gesagt, dass er nicht mehr mein Freund sein will.« Ein paar Tränen zogen nasse Spuren über ihre Wangen.
»Wer, Sarah?«, fragte Decker. »Wer wollte nicht mehr dein Freund sein?«
Sarah schüttelte den Kopf. »Das möchte ich nicht sagen.« »Sarah, du musst ein schlimmes Geheimnis nicht für dich behalten.«
»Ich weiß, dass ich nicht muss, aber ich möchte.«
Decker sah mich an und schüttelte den Kopf. »In Ordnung, Sarah. Wenn du nicht darüber sprechen möchtest, brauchst du es auch nicht. Aber falls du je deine Meinung änderst, werde ich dir gerne zuhören.«
Sie nickte, und eine Minute lang hatte ich das Gefühl, dass sie im Begriff war, es sich anders zu überlegen. Doch dann stand sie auf und sagte: »Ich möchte Ella sehen.«
Ich erinnerte mich an die Worte meines Vaters: Männer, die so etwas tun, sind in der Regel sehr charmant. Dadurch wecken sie in ihren Opfern oft eine unglaubliche Loyalität. Ein behindertes Mädchen wie Belinda hatte dem Mann, der sie belästigt hatte, genug Vertrauen geschenkt, um ihm nach Hollywood zu folgen und mitten in der Nacht allein durch die Stadt zu laufen. Ich sah sie immer noch vor mir, wie sie mit gesenktem Kopf die Straße überquerte und dabei so verloren wirkte.
»Sarah!«, rief ich ihr nach.
Sie drehte sich um.
»Wie wär's denn, wenn du es Louise erzählst?«, schlug ich vor. Sarah starrte mich an, schwieg aber. Mein letzter Versuch. »Und wenn du es Koby erzählst?« Langsam breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Dann begann sie zu kichern. »Ja... vielleicht Koby.«
44
Im Lauf des Vormittags hatte der Himmel einen dunstigen Graustich angenommen.
Die Sonne brannte mir auf den Kopf. Bis zum Strip waren es nur eineinhalb Blocks, aber in der Hitze kam es mir vor wie zwei Kilometer in der Sahara. An der Kreuzung von Sunset und Willem gab es ein kleines Cafe. Dad und ich ließen uns an einem Tisch im hinteren Teil nieder, wo uns eine rothaarige Kellnerin mit Bürstenhaarschnitt bediente.
»Wer bekommt den Latte?«
»Ich.«
Sie servierte mir den Latte. »Und wer bekommt den schwarzen Kaffee?«
Außer mir und meinem Vater saß niemand am Tisch. Dad zwinkerte mir grinsend zu. »Der ist für mich.« »Sechs Dollar.«
»Soll ich gleich bezahlen?«, fragte Dad. »Gleich oder später.«
Mit gerunzelter Stirn zog Decker einen Zehner heraus. »Der Rest ist für Sie. Vielleicht können Sie dafür sorgen, dass uns niemand stört.«
Sie starrte auf den Geldschein. »Ja. Sind Sie ein Cop oder so was?«
Der Loo hielt ihr seinen
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