und der tanzende Derwisch
»Brummmmmmm, brummmmmmm, brummmm.«
»Ja, bald« versicherte sie ihm. »Iß erst eine Orange. Gehst du zur Schule, Ahmad?«
» Madrasa«, übersetzte Max. Er nickte eifrig. »Einmal, ja.«
»Was bedeutet das?« fragte sie, und Max erkundigte sich. Nach längeren angeregten Fragen und Antworten, wobei Ahmad bei Max vereinzelten Aussprachefehlern jedesmal laut herauslachte, erfuhren sie, daß Ahmad eineinhalb Jahre lang eine Schule besucht hatte. »Aber es war eine Koranschule, das ist nicht dasselbe wie eine übliche Schule«, erklärte Max, »denn dort wird fast ausschließlich der Koran gelehrt. Doch er sagt, er kann seinen Namen schreiben und auf dem Abakus zusammenzählen und abziehen, und von seinem Vater, sowie von Touristen hat er ein bißchen Französisch und Englisch gelernt. Und wenn er groß ist, möchte er Lastwagenfahrer werden. Wie ich«, fügte er amüsiert hinzu.
»Dann kann ich nur hoffen, daß er mit neueren Lastern fahren wird«, entgegnete Mrs. Pollifax sarkastisch. »Wie weit ist es noch?«
»Es kann nicht mehr sehr weit sein, ein paar Stunden noch inschallah. Nach Ihrem Reiseführer ist Zagora ein hochgelegener Ort mit einer Festung - hoffen wir, daß die Steigung erträglich ist -, und Ahmad sagt, daß seine Tante am anderen Ende, außerhalb von Zagora wohnt, worüber er sehr froh ist, weil er dadurch länger bei uns bleiben kann.«
Als sie ins Fahrerhaus kletterte und sich neben Ahmad setzte, schob er wieder zutraulich seine Hand in ihre. Ihr wurde bewußt, wie sehr er ihr fehlen würde, wenn sie ihn erst bei seiner Tante abgesetzt hatten. Sie fragte sich auch, wie es für ihn weitergehen würde, so entwurzelt wie er jetzt war, und wann sein Vater ihn holen kommen konnte; am schlimmsten war der Gedanke, ob er ihn überhaupt wiedersehen würde, denn es war nicht auszuschließen, daß Muhammed bereits verraten worden war und ihn in Ouarzazate nichts Gutes erwartete. Hör auf! ermahnte sie sich streng. Wir haben viel zu tun, und wer weiß, was uns erwartet.
Sie brachen mit einigem Optimismus auf, doch heute muckte der Laster auf. Nach etwa einer Stunde Fahrt begann der Kühler zu dampfen, und sie verloren viel Zeit, bis er wieder genügend abgekühlt war. Dann hielt der Laster plötzlich an, und sie stellten fest, daß die Benzinuhr nicht richtig anzeigte, und der Tank bereits leer war. Es kostete sie eine gute halbe Stunde, den rostigen Deckel von dem Ersatzkanister aufzukriegen, den Omar erstanden hatte. Sie hatten gehofft, Zagora am Vormittag zu erreichen, doch es wurde Nachmittag, bis sie von der Hauptstraße auf die Nebenstraße abbogen, die zu dem Hotel hochführte.
»Ziemlich abgeschieden von dem doch reichlich lebhaften Treiben im Ortskern«, meinte Mrs. Pollifax. »Aber auf der Fotografie stand ›Sidi Tahar Bouseghine, Teppichverkäufer, in der Nähe von Hotel X, Zagora‹.«
»Sein Name interessiert mich«, sagte Max, »denn in Marokko bedeutet Sidi soviel wie ›Sir‹ oder ›Lord‹, und das wiederum bedeutet, daß er ein Scherif ist.« Er fuhr den Wagen an den Straßenrand, damit sie sich ein genaueres Bild machen konnten. Mrs. Pollifax stellte fest, daß weder ihr Orientierungssinn noch ihr Gedächtnis sie im Stich gelassen hatte: Etwas unterhalb des Hotels standen kleine Souks, fünf auf jeder Straßenseite; sie hielten einen angemessenen Abstand zum Hoteleingang ein, waren jedoch nahe genug, jedem Touristen, der einen Spaziergang machte, das Gefühl eines Spießrutenlaufes zu geben.
»Was ist ein Scherif?« fragte sie.
»Ein Nachkomme Mohammeds oder Alis. Wie sieht er denn aus?«
»Patriarchalisch«, antwortete sie und rief sich das Bild in Erinnerung. »Ein Turban bedeckte sein Haar, aber sein Bart war weiß. Nicht sehr lang, aber doch so, daß ich an einen Patriarchen denken mußte. Er hatte keine Ahnung, daß ihn jemand fotografierte, er stand mit verschränkten Armen in der Sonne und beobachtete jemanden oder etwas stirnrunzelnd. Sein Gesicht war sehr dunkel, verglichen mit dem Bart, und verwittert. Und er war zweifellos ein Mann, den man nicht vergißt, wenn man ihn einmal gesehen hat, Er hatte ...« Sie suchte nach dem richtigen Wort. »Er hatte Präsenz.« Wie Cyrus, dachte sie lächelnd.
Das Hotel stand am Ende der Straße und sah aus wie ein Palast, was Mrs. Pollifax für eine Ortschaft so nahe der Wüste erstaunlich fand. Es war von einer gepflegten Gartenanlage umgeben. Auf dem Parkplatz standen zwei Reisebusse, ein Minitaxi und ein Landrover mit einem
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