und der verschwiegene Verdacht
Herzog Emma durch den Speisesaal zu einer Glastür, die auf eine Terrasse hinausging. Sie war umgeben von einer Balustrade, und eine Treppe führte hinunter auf den gro-
ßen, makellos gepflegten Rasen.
Als Emma sah, dass das andere Ende des Rasens von einer Burgruine begrenzt war, sagte sie leise:
»Also ist es tatsächlich eine Burg.«
Der Herzog stand bereits am Fuße der Treppe.
Als er ihre Worte hörte, drehte er sich um, schlug sich mit der Hand gegen die Stirn und kam wieder herauf zu Emma. Etwas betreten sagte er: »Entschuldigen Sie. Ich hatte vergessen, dass Sie ja noch nie hier gewesen sind.« Er deutete auf die Ruine.
»Ja, am Anfang stand hier oben eine Art Festung.
Der erste Herzog war ein ziemlicher Haudegen, und ein Erpresser obendrein. Man gab ihm den Titel als Gegenleistung dafür, dass er die Schiffe Ihrer Majestät in Ruhe ließ und stattdessen half, sie zu schützen.«
»Er war ein Seeräuber?« Emma lächelte ungläubig.
»Ich fürchte, ja. Und er muss in seinem erwählten Beruf wirklich gut gewesen sein, um einen erblichen Adelstitel dafür zu bekommen, dass er in den Ruhe-stand ging. Ich wünschte manchmal, man hätte ihm auch etwas brauchbares Ackerland gegeben, aber man kann nicht alles haben. Von dem alten Pira-tennest hier oben ist natürlich nichts mehr übrig, aber …« Unentwegt sprach der Herzog weiter, er-zählte von der einstigen Größe und dem allmählichen Verfall der Burg, deren riesige Quader spätere Herzöge dazu nutzten, Penford Hall zu erbauen.
»Recycling vom Feinsten«, erklärte er.
An die einstige Burg erinnerten nur noch die vier dicken Außenwände und ein paar wenige Innen-wände – »und hier und dort eine Treppe oder ein Kamin, damit es nicht zu langweilig wird«, wie der Herzog meinte. Innerhalb dieser Mauern hatte Bantry (»Der Obergärtner, ein ganz hervorragender Mann«) ein halbes Dutzend »Gartenräume« geschaffen. Emma nickte, sie hatte in Sissinghurst etwas ganz Ähnliches gesehen, wo die Gärten innerhalb der verfallenen Mauern eines Elisabethanischen Landhauses angelegt waren.
»Man muss zugeben«, schloss der Herzog, »dass die Burg die Aussicht vom Speisezimmer ein-schränkt, aber ist sie nicht ein wunderbarer Schutz gegen den Wind?«
Emma nickte. Genau wie in dem Stück Wald, durch das sie zuvor mit Gash gefahren war, gäbe es auch hier nicht diesen makellosen, grünen Rasen, wenn er nicht vor dem rauen Wind geschützt wür-de. Nach Osten und nach Westen hin war der Rasen von drei Meter hohen Mauern umgeben, die sich vom Haus bis zur Burgruine erstreckten. Ein Apfelspalier aus etwa einem Dutzend Bäumen schmiegte sich an die warmen grauen Steine – sie schienen sich in der Sonne offenbar sehr wohl zu fühlen.
»Ende der Geschichtsstunde«, sagte der Herzog.
»Wenden wir uns jetzt der Botanik zu.« Mit einem gewinnenden Lächeln führte er Emma am Ellbogen zügig die Treppe der Terrasse hinunter und auf den Torbogen der Burgruine zu. »Ich hoffe, Sie verzeihen mir, wenn wir uns Bantrys Gartenräume vorläufig nicht ansehen und lieber gleich zum Garten der Kapelle gehen. Ich kann es nicht erwarten, ihn Ihnen zu zeigen.« Beruhigend hob er die Hand. »Aber ich will Sie nicht hetzen. Nehmen Sie sich ruhig alle Zeit, die Sie brauchen.« Der Herzog lächelte so herzlich, dass Emma nicht erstaunt gewesen wäre, wenn er sie auch noch umarmt hätte. »Gott sei Dank, dass Tante Dimity meine Gebete erhört und die Pyms losge-schickt hat, um Sie aufzuspüren.«
Emma wollte gerade protestieren, dass sie die Tante des Herzogs gar nicht kenne, aber da hatten sie schon den Torbogen passiert und den kühlen Innenhof der Burgruine betreten. Eine verwunsche-ne Ansammlung von bröckligen Mauern, unüber-dachten Arkaden und Treppen breitete sich vor ihnen aus, die nirgendwo hinführten.
Emma spähte durch eine Öffnung zu ihrer Linken und sah den ersten von Bantrys Gartenräumen. In der Mitte war ein Rasen, gesäumt von einer breiten Staudenrabatte. Madonnenlilien, Rittersporn und Glockenblumen lockten Emma, und gerade wollte sie sich ihnen zuwenden, als der Herzog die Hand hob und auf eine Gruppe weißer Korbstühle deutete, die am anderen Ende des Gärtchens stand.
»Tag, Hallard!«, rief er.
Hallard, der bebrillte Diener, der sich um Emmas Gepäck gekümmert hatte, saß in einem der Korbstühle und tippte emsig auf seinem Laptop. Beim Gruß des Herzogs hob er bedächtig den Kopf und blinzelte kurzsichtig herüber. »Hmmm?«, machte er. »Eure
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