und der verschwiegene Verdacht
trugen keine bunten Blütenblätter mit süßem Duft, und die abgestorbenen Ranken, die sich wie Spinn-weben an den Mauern entlangzogen, würden nie mehr grün werden. Der Kapellgarten war eine trockene, öde Wildnis, über der ein Hauch jener Traurigkeit lag, die man an Orten spürt, welche einst geliebt wurden und jetzt vergessen sind.
Zwei erhöhte Blumenbeete, die terrassenförmig übereinander lagen, umschlossen einen rechteckigen Rasen. In jeder Ecke führten abgerundete Stufen bis fast zum oberen Rand der Mauer. Zu Emmas rechter Hand lag ausgetrocknet ein kleines Wasserbassin, daneben stand eine hölzerne Bank, die Wind und Wetter so gebleicht hatten, dass sie fast silbern aussah. Der Garten musste einst ein kleines Schmuckstück gewesen sein, aber jetzt standen die Simse voller zerbröckelnder Tontöpfe, auf den er-höhten Beeten war nichts als trockenes Stroh und der Rasen war ein Filzwerk aus rankendem Unkraut und Disteln.
Ein seltsames Gebäude saß rittlings mitten auf der langen rückwärtigen Mauer, das eine Ende hoch über dem Meer, das andere fest im Garten verankert. Es war gedrungen und rechteckig und aus dem gleichen dunklen Granit wie die Burg. Es hatte weder Glockenturm noch Bogengang, nichts Inspirierendes oder das Auge Erfreuendes. Die einzige Dekoration waren ein dickes Moospolster auf dem steilen Spitzdach und ein paar goldene Flech-ten über der niedrigen, runden Tür. Ein gepflasterter Weg führte von der Tür zu den Stufen und teilte den Rasen in zwei Hälften.
Impulsiv ließ sich Emma in dem feuchten Gras auf die Knie nieder, teilte das Unkraut und grub mit den Fingern tief in das Erdreich. Sie förderte eine Hand voll feuchter Erde zu Tage, roch daran, rieb sie zwischen den Handflächen und ließ sie durch die Finger rieseln. »In dieser Erde wächst alles«, stellte sie bewundernd fest und schöpfte Hoffnung.
Mit Arbeit und Ausdauer könnten die Gespenster von hier vertrieben werden und die Blumen, die einst hier geblüht hatten, könnten in ihrer alten Pracht wieder auferstehen.
Sie stand auf und ging langsam zur Tür des ge-drungenen Gebäudes. Sie legte die Schulter gegen das dunkle Holz und stemmte sich dagegen, und als sie eintrat und den einzigen Schmuck der Kapelle erblickte, hielt sie vor Überraschung den Atem an.
Ihr war, als sei sie in einen Edelstein eingedrungen.
Durch das bunte Glasfenster wurde die Kapelle mit Licht und Farbe überflutet, das selbst die dunklen Deckenbalken aufleuchten ließ. Das Fenster war nur etwa einen Meter breit und anderthalb Meter hoch, doch es machte allen weiteren Schmuck überflüssig.
Eine Ranke aus roten Rosen umrahmte die Gestalt einer Frau. Sie stand vor einem dramatischen Hintergrund aus zusammengeballten Wolken über einem tosenden Meer. Mit der einen Hand hielt sie ihren aufgeblähten schwarzen Umhang am Kragen zusammen, die andere Hand war trotzig erhoben und hielt eine Laterne, aus der ein überirdisches Licht strahlte. Lange Strähnen ihres dunklen Haars wurden vom Wind aus der Kapuze gezerrt, aber das Gesicht der Frau strahlte Ruhe und Zuversicht aus.
Emma sah hoch zu den entschlossenen braunen Augen, dann stolperte sie rückwärts über die Schwelle und durch die grüne Tür. Einen Moment stand sie, von der Sonne geblendet, gegen die Mauer gelehnt, und als sie wieder aufsah, war der Garten um sie herum zum Leben erwacht.
Sie roch den Lavendel, der neben der Kirchentür blühte, sie sah die Beete mit den Schwertlilien, die Farbtupfer des Mohns, die Büsche der rosa Pfingstrosen in der Sonne. Alte Rosensorten ergossen sich in Kaskaden über die grauen Steinmauern, winzige zartrosa Glöckchen reckten sich aus dem Schleierkraut, und im Becken glitzerte klares Wasser.
Emma wusste, dass sie mit offenen Augen träum-te, aber sie wollte nicht, dass der Traum aufhörte.
Die Bilder waren so lebhaft wie die Erinnerungen an ihr Elternhaus, und mit einem Seufzer stellte sie fest, dass sie an einen Ort gekommen war, von dem sie immer geträumt hatte. Sie lehnte an der Mauer und erlebte, wie die Jahreszeiten den Garten veränderten. Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Der Garten verblasste wieder, das Wasserbecken war wieder ausgetrocknet, und sie richtete sich auf, peinlich berührt, dass der Herzog sie beim Tagträumen erwischt hatte.
Aber es war nicht der Herzog.
Es war ein ganz anderer Mann, groß und sehnig, mit breiten Schultern und einem länglichen, vom Wetter gegerbten Gesicht. Seine Jeans waren verwaschen, der marineblaue
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