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und der verschwiegene Verdacht

und der verschwiegene Verdacht

Titel: und der verschwiegene Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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sagte Emma. »Eine Art durchlässiges, rauchiges Schwarz. Warum?«
    »Der Legende nach war das Mädchen in reines Weiß gekleidet. Grayson behauptet, in seiner Kindheit sei der Umhang grau gewesen, und die Angestellten hier bestätigen das. Sie behaupten alle, dass der Umhang, und nur der Umhang, ursprünglich weiß war und im Laufe der Zeit schwarz geworden ist. Und ich gebe auch ohne weiteres zu, dass Glas seine Farbe verändern kann, zum Beispiel kann es blind oder schmutzig werden oder verwittern.« Er sah Emma erwartungsvoll an.
    »Ich verstehe«, sagte sie.
    »Das ist hier aber nicht der Fall. Wenn es sich nicht um eine chemische Reaktion handelt, wie sie es bisher in der Geschichte der Glasherstellung noch nie gegeben hat, dann habe ich keinerlei Er-klärung für das Eindunkeln der Farbe – ja, nicht einmal den Beweis, dass es sich hier tatsächlich um ein solches Eindunkeln handelt. Können Sie mir folgen?«
    »Reden Sie weiter, Derek«, sagte Emma ungeduldig.
    Derek wurde rot. »Entschuldigung. Ich werde allmählich pedantisch. Ich habe nämlich versucht, es Peter zu erklären, aber der hat es nicht verstehen wollen. Der Junge hat sich etwas in diese Dame verliebt. Er liegt mir in den Ohren, ich solle endlich ihren Umhang ›heil machen‹. Das wollte Grayson natürlich auch. Er hatte gehofft, dass ich das Glas irgendwie chemisch behandeln kann, was nicht möglich ist, oder dass ich das Glas einfach ersetze, was ich eigentlich nicht möchte, jetzt wo ich es aus der Nähe gesehen habe.«
    »Warum nicht?«
    »Ich verstehe zwar mein Handwerk, Emma, aber dieses Fenster wurde von einem Meister geschaffen.
    Es würde mir nicht im Traum einfallen, etwas daran zu verändern. Grayson ist natürlich enttäuscht, aber er sieht es ein und gibt mir Recht.«
    »Aber Peter nicht?«
    »Nein. Warum, weiß ich nicht. Normalerweise ist er ganz vernünftig.« Derek senkte den Kopf. »Ich weiß aber nicht, warum ich über meinen Sohn rede, wo ich Ihnen so vieles andere zu erzählen habe.
    Kommen wir zum nächsten Beweisstück.« Derek ging zum Ende des Mittelgangs, öffnete die kleine Hintertür, und Emma folgte ihm nach draußen.
    Einen Moment stand sie von der Sonne geblendet da und musste mehrmals blinzeln, doch dann ver-schlug es ihr den Atem, und sie drückte sich in pa-nischem Schrecken an die Mauer der Kapelle, Sie stand am Rand einer Klippe. Wie das Mädchen im Glasfenster es einst gesehen haben musste, sah auch sie dort unten, in siebzig Meter Tiefe, die wuchtigen Wellen gegen die Felsen branden.
    »Oh …« Derek sah sie besorgt an. »Sie haben doch hoffentlich keine Höhenangst?«
    Zum ersten Mal nahm Emma bewusst das Ge-räusch der Brandung wahr, ein Geräusch, das sie bisher ebenso wenig beachtet hatte wie ihren eigenen Herzschlag. »Diese Frage kommt ein bisschen spät, nicht wahr?«, brachte sie heraus.
    Derek schien verunsichert und ein wenig verletzt.
    »Ich hätte Sie schon aufgefangen«, sagte er. »Deshalb bin ich ja auch vorausgegangen.«
    Emma wandte die Augen mit Mühe von den Wellen ab, die sich am Fels unter ihnen brachen, um ihn entrüstet anzusehen, aber er hatte sich schon wieder weggedreht.
    »Beweisstück Nummer zwei«, sagte er, indem er die Arme ausbreitete, wie um die Aussicht auf Meer und Himmel zu unterstreichen. »Was fällt Ihnen an diesem Ort als Erstes auf?«
    Jetzt, wo sie etwas Zeit gehabt hatte, sich zu be-sinnen, musste Emma einräumen, dass sie nicht unmittelbar am Abgrund stand. Was sie erschreckt hatte, war die Ungeschütztheit der Stelle. Kein verkümmerter Baum, kein windzerzaustes Gesträuch verstellte den weiten Blick, und weder eine Absper-rung noch die kleinste Schutzmauer warnte vor dem Sturz in die Tiefe. Außer ein paar Metern struppigen Grases lag nichts zwischen ihr und dem Abgrund.
    Vorsichtig löste sie sich von der Mauer und trat einen halben Schritt vor. Vor ihr erstreckte sich blau der Ärmelkanal bis zum Horizont. Zu ihrer Linken blinkte der Leuchtturm von seinem Felsvorsprung, und zur Rechten, hinter der Kapelle, krümmten sich die Klippen in einem abrupten In-nenbogen zu einer Bucht. Ein plötzlicher Windstoß zerrte an ihren Haaren, und sie unterdrückte ein Schaudern.
    »Es ist ungeschützt«, sagte sie, als Antwort auf Dereks Frage. »Es gibt keinerlei Schutz vor dem Wind. Ich möchte im Sturm nicht hier draußen stehen.«
    »Aber Grayson behauptet, dass dieses Fenster schon seit Hunderten von Jahren jedem Wetter trotzt. Jetzt sehen Sie mal.« Derek langte

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