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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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gehört. Noch einmal... noch einmal das Picknick, bei dem sie zum erstenmal etwas vom Krieg gehört hatte - von diesem Krieg, der wie eine Lawine das Leben der kleinen Leute zerstörte. Noch einmal ein Samstagnachmittag, an dem sie zusah, wie Tom Fußball spielte — aber Tom würde nie wieder hinter einem Ball herlaufen. Nie wieder. Es gab kein noch einmal - höchstens im Traum. Kein Zurück, hur den Blick nach vorn, in eine harte Welt. Sie hielt ihren Sohn an sich gepreßt, ihren kleinen unzärtlichen Jungen, und das Herz wurde ihr schwer von ungeweinten Tränen.
    «Was möchtest du noch hören, Mutter?» fragte Edith in der stillen Hoffnung, man werde sie um eine Zugabe bitten.
    «Nacht der Sorgen und der Schmerzen», erwiderte Oma.
    Davon hielt Benbow nichts. Für seinen Geschmack hatte die Nacht der Sorgen und der Schmerzen wenig zu bieten. «Kann ich mit meinen Bausteinen spielen?» flüsterte er.
    «Nein, nicht am Sonntag, Liebling», sagte Nell. «Das hat Oma nicht gern.»
    Benbow sang also weiter mit. Aber er rutschte dabei so unruhig hin und her, daß Großtante Min leise sagte: «Nell, ich glaube, er muß mal.»
    «Mußt du mal, Benbow?» flüsterte Nell.
    Benbow nickte.
    «Dann lauf schnell. Laß die Tür offen, damit du was sehen kannst.»
    «Bringe Trost in unsere Herzen», sangen Oma und Opa und blickten Benbow verärgert nach, als er eilig hinauslief. Der Blick, den Oma seiner Mutter zuwarf, sagte deutlicher als alle Worte, daß Tom nie, niemals mitten in der Nacht der Sorgen und der Schmerzen aufs Klo gegangen wäre.
    Im Flur war es fast dunkel, nur durch die offene Tür kam etwas Licht, und oben an der Treppe brannte die kleine Nachtlampe.
    Der enge kleine Flur kam Benbow plötzlich groß vor. Bestimmt saß irgendwo ein Gespenst im Schatten. Benbow, der eben noch so stolz gewesen war, daß er sich vor dem Singen gedrückt hatte, bekam es mit der Angst. Mit scheuen Blicken sah er sich um, und es kribbelte ihm im Nacken, als er sah, daß sich nahe an der Haustür etwas bewegte. Er hörte ein Seufzen, machte kehrt und ging festen Schrittes zurück in die Helle des Wohnzimmers, das Kinderherz erfüllt von dunklem Schrecken.
    «Mach ein End mit Qual und Pein», sangen sie gerade, und dann sahen sie das weiße Gesichtchen und vergaßen darüber das Amen.
    «Was ist denn los, mein Liebling?» fragte Nell und streckte ihm die Arme entgegen.
    «An der Haustür steht was. Es hat sich bewegt», stammelte Benbow.
    Bei den meisten Kindern hätten die Erwachsenen gesagt: er phantasiert. Aber das kam bei Benbow nicht in Frage. «Was war’s denn, Benbow?» fragte Nell.
    «Ein Gespenst», sagte er mit schwankender Stimme.
    Onkel Albert, außer Opa der einzige Mann im Zimmer, legte eine Hand auf die Sofalehne und richtete sich ein wenig auf; damit aber meinte er bereits genug getan zu haben und lehnte sich wieder zurück. Immerhin könnte es ein entflohener deutscher Kriegsgefangener sein, und das Einfangen von Hunnen gehörte nicht zu seinen Aufgaben - seine Aufgabe war es, am Leben zu bleiben und Munition herzustellen. Das war einer seiner wenigen eigenständigen Gedanken.
    Von Opa erwartete niemand, daß er etwas tat - er selber am allerwenigsten. Er verdiente das Brot und hatte noch nie einen Teller abgewaschen oder ein Bett gemacht oder jemandem die Haustür geöffnet. Er wurde zu Hause bedient wie ein Pascha. «Sieh doch mal nach, Nell», sagte er.
    «Laß die Tür offen, damit du was sehen kannst», fügte Oma hinzu.
    «Man hört heute so viel von Vergewaltigung», sagte Min.
    «Was ist das, Vergewaltigung, Dad?» fragte Crystal und ließ ihre Faust wieder auf den Oberschenkel ihres Vaters sausen. «Sag’s mir, Dad, was ist Vergewaltigung?»
    «Das verstehst du nicht, Kindchen», gab Albert zurück.
    «Bleib hier, Benbow», sagte Nell und ging hinaus in den Flur.
    Irgend etwas war da tatsächlich. Nell ging tapfer auf die Haustür zu. Vielleicht ein Mantel an einem vergessenen Haken...?
    «Geh weg, du Schnüffelziege!» zischte eine Frauenstimme.
    «Oh, entschuldige!» flüsterte Nell bestürzt. Der arme Frank Hardy! Das war nicht fair. Dabei ist Alice ein guter Kerl, viel besser als ich, dachte Nell. Wenn sie es für richtig hält, muß es wohl richtig sein. Nell wandte sich um und kehrte ins Zimmer zurück, wo sieben fragende Gesichter ihr entgegensahen. Nell ging zu ihrem Stuhl und setzte sich.
    «Nun?» fragte Opa.
    «Alles in Ordnung. Es war bloß ein Mantel, glaube ich.»
    «Es war kein Mantel, Mam. Es

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