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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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trotzdem, wie konnte es anders sein. Die Welt aus Lieb und Freude, die Millionen Engländer und Franzosen Benbow durch ihren Tod geschenkt hatten, war für sie eine Wüste. Sie und Tom hatten zu früh gelebt.
    Es gab mehrere Wege in die trübe Zukunft. Sie könnte hier im Hause bleiben, wo niemand ihr freundlich gesonnen war und wo ihr Schwiegervater sie ernährte. Aber deshalb hatte sie keine Skrupel: sie wußte, was ihre Arbeit wert war. Oder sie könnte nach Wales zurückgehen. Aber ihre Eltern waren tot, und daheim lebte nur noch die hübsche verschlagene Vanwy, die ihr nie nahegestanden hatte. Sie könnte sich auch irgendwo eine Bleibe suchen, für sich und Benbow, und wieder eine Arbeit als Verkäuferin annehmen, aber dann kümmerte sich niemand um Benbow, das ging also auch nicht.
    Es gab noch eins: sie und Benbow konnten sich mit Taffy Evans zusammentun, vorausgesetzt, daß Taffy sie wirklich haben wollte.
    Hatte sie ihn denn gern? Ja, sie hatte ihn gern. Nicht so, wie sie immer noch Tom liebte, mit Verständnis und gegenseitiger Achtung und verborgen glimmender Leidenschaft. Nein - mehr wie man einen dummen Jungen lieb hat, gerade wegen seiner Schwäche und seiner Torheit. Aber Schwäche und Torheit, das wußte Nell, waren kein gutes Fundament für eine Ehe.
    Sie gab es auf. Entscheidungen waren ihr immer schwergefallen. Wahrscheinlich würde sie sich einfach treiben lassen, wie ein Blatt im Wind. Alle, die sie kannte, waren Blätter im Wind, ausgenommen vielleicht Frank Hardy und Alice, und sie schienen es ganz natürlich zu finden.
    Sie kam wieder in die Gegenwart zurück. «Der Krieg ist zu Ende», sagte sie.
    Benbow wußte nicht, was der Gegensatz zum Krieg war. Wenn ein Tag zu Ende war, kam die Nacht. Nach dem Sommer kam der Winter, das wußte er. Aber was kam, wenn der Krieg zu Ende war? «Ist jetzt die ganze Welt zu Ende?» fragte er erschrocken.
    «Nein.» Nell lachte fröhlich. «Jetzt fängt sie erst an! Jetzt kommt der Frieden.»
    «Was ist das, Frieden? Was Schönes?»
    «Ja. Es wird nicht mehr gekämpft und nicht mehr getötet.»
    «Kommt Dad dann jetzt wieder?» fragte er.
    «Nein, mein Herz.»
    Benbow war erleichtert. Er hatte seine Mutter lieber für sich.
    «Heute abend wird es draußen überall Freudenfeuer geben», sagte Nell. «Vielleicht auch Feuerwerk. Du darfst aufbleiben, wenn du heute mittag schön lange schläfst.»
    Benbow war glücklich. Lange aufbleiben war herrlich. Er hatte immer geglaubt, daß in dem Augenblick, wenn er einschlief, bei den Erwachsenen Jubel und Trubel losbräche.
     
    Daß Oma und Opa nicht mit Nells Vorhaben einverstanden waren, sah man ihnen auf zehn Schritt Entfernung an.
    «Zu Hause wärst du besser aufgehoben, mein Kind. Bestimmt sind heute viele Betrunkene auf den Straßen.»
    «Und wenn nun der Junge aufwacht», sagte Oma. «Opa und ich können die Verantwortung unmöglich übernehmen, wenn was passiert.»
    «Ich nehme ihn mit», entgegnete Nell. «An diesen Tag heute soll er sich sein Leben lang erinnern.»
    Beide schwiegen verblüfft. «Du nimmst ihn mit? Bei dem Gedränge und den vielen Betrunkenen?» rief Opa endlich.
    «Es ist nicht mehr Juli, sondern November, Nell», sagte Oma vorwurfsvoll. «Bei dem Wetter wird er sich den Tod holen.»
    Nell erwiderte nichts.
    «Unglaublich, so was», murmelte Oma. «Ein Kind nachts auf die Straße mitnehmen.»
    «Begreift ihr denn nicht?» fragte Nell. «Der Krieg ist aus! Wir feiern den Sieg — das ist doch was Wunderbares. So etwas erleben wir nie wieder - nie. Soll ich da wirklich zu Hause bleiben, wie sonst?»
    «Wir bleiben ja auch zu Hause», gab Oma spitz zurück. Aber Opa war der gereizte Ton in Nells Stimme nicht entgangen. Er wollte keine Schwierigkeiten und sagte:
    «Na schön, pack den Jungen gut ein. Und komm nicht so spät nach Hause — ich habe keine Lust, die halbe Nacht aufzubleiben und auf dich zu warten.»
    «Kann ich nicht einen Hausschlüssel mitnehmen?»
    Verblüfftes Schweigen. «Einen Hausschlüssel?» fragte Opa dann gedehnt. «Kommt nicht in Frage, Nell. Ich möchte nicht, daß du erst mitten in der Nacht nach Hause kommst.»
    «Unser Tom hat nie einen Hausschlüssel gehabt», sagte Oma. «Und er hat auch nie einen verlangt.»
    «Und die Mädchen erst recht nicht», fügte der alte Mann hinzu.
    «Was die wohl sagen würden, wenn Opa dir einen gäbe», sagte Oma.
    «Ist ja schon gut», beschwichtigte Nell und ging in den Flur. Etwas später fiel die Haustür hinter ihr ins

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