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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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wegen jeder Nichtigkeit, war man aus läppischen Gründen gekränkt und beleidigt. Es war unglaublich: Millionen Menschen hatten sterben müssen, ein ganzer Erdteil war aufgewühlt worden, um den einen großen Streit beizulegen. Jetzt schwiegen die Waffen, aber das kleine Gezänk ging weiter. Für jene Menschen in Ingerby, die niemanden im Krieg verloren hatten, war die Götterdämmerung nichts gewesen als eine Geschichte, der sie wenig hinzuzufugen und von der sie nichts gelernt hatten. Natürlich war die Götterdämmerung schlimm gewesen, davon konnten sie alle ein Lied singen, aber niemand hatte anscheinend die Möglichkeit in Erwägung gezogen, daß England den Krieg verlieren könnte. England verlor keine Kriege, man hatte nur abwarten müssen, bis alles vorüber war - wie ein Unwetter. Und jetzt, wo es vorüber war, kehrte man am besten ganz schnell dahin zurück, wo man 1914 stehengeblieben war.
     
    Weihnachten kam, Taffy saß am Klavier und spielte Weihnachtslieder. Edith, Albert und Crystal kamen nicht. Ediths Vorstellung von Friede-auf-Erden-und-den-Menschen-ein-Wohlgefallen hatte sich immer nur auf einen kleinen Kreis beschränkt, und Taffy
    Evans gehörte nicht dazu. Albert tat natürlich, was Edith tat. Benbow war erleichtert. «Wo sind Tante Edith und Crystal?» fragte er Oma.
    «Sie kommen nicht, Jungchen.»
    «O prima!»
    Oma war gekränkt. «Hast du denn deinen Onkel und deine Tante gar nicht lieb, Benbow?»
    «Och - nicht sehr.»
    «Und Crystal auch nicht?»
    «Nee - die will immer bloß sehen, was ich in der Hose habe», antwortete Benbow entrüstet.
    Oma sagte nichts. Der Krieg war schuld, dachte sie. Selbst unschuldige kleine Kinder hatte er verdorben. Sie mußte Edith warnen. Sie war ernstlich besorgt. Und sie konnte nicht einmal mit jemandem darüber sprechen! Nicht mal mit Will.
    Edith und ihre Familie waren nicht die einzigen, die zu diesem Weihnachtsfest nicht wie üblich bei den Eltern erschienen. Alice kam auch nicht. Sie war auch nicht bei den Verwundeten im Lazarett.
    Anfang Dezember hatte Alice einen auf häßlichem grauen Feldpostpapier geschriebenen Brief von Frank Hardy erhalten. «Liebe Alice - dieses Jahr bin ich Weihnachten bestimmt noch nicht zu Hause. Unser Regiment soll noch hierbleiben und die letzten Aufräumungsarbeiten machen, oder es wenigstens versuchen. Ich furchte, darüber kann es Sommer werden, mein Liebes - immer vorausgesetzt, daß der Waffenstillstand überhaupt hält. Manchmal habe ich Alpträume und denke, das geht jetzt immer so weiter, ich werde eine Art Fliegender Holländer und muß auf die schönen Dinge des Lebens für immer verzichten. Und warum? Vielleicht, weil ich zu sehr an ihnen gehangen habe und das harte Männerleben erst lernen mußte...»
    Sie las den Brief in dem kleinen Zimmer hinter Saal vier. Er sprach noch von seiner Enttäuschung und seiner großen Sehnsucht. Er bat sie um Verzeihung, daß er ihr diesen Kummer zufügen müsse. Sie hätte doch schon 1914 seine Frau werden sollen; nun müßte er sie noch bis 1919 warten lassen. Aber er würde es gutmachen...
    Ihr erstes Gefühl war Erleichterung. Seit dem Waffenstillstand hatte sie sich vorgenommen, zu einem Entschluß zu kommen: mit Walter zu brechen und nur noch für Frank da zu sein, ihm das Glück zu geben, das er nach den vier Jahren der Hölle verdiente. Immer wieder hatte sie die Entscheidung verschoben, und nun hatte sie noch sechs Monate Zeit — mindestens sechs Monate. Sie wußte, was sie tun wollte: Sie wollte Walter nicht mehr wie den letzten Dreck behandeln, sondern freundlich zu ihm sein — sogar liebevoll. Sechs Monate lang. Und dann sagen: Lebwohl, Walter, mein Held kommt heim.
    «Du hast ja wohl Dienst an den Feiertagen, wie immer», sagte Walter abends.
    Sie lächelte ihn zum erstenmal seit Wochen an. «Nein, ich hab keinen Dienst.»
    Er sah plötzlich nicht mehr aus wie ein geprügelter Hund. «Soll das heißen, daß wir uns sehen können?» fragte er hoffnungsvoll.
    «Wenn dir noch daran liegt — so wie ich dich in letzter Zeit behandelt habe.»
    Ein anderer hätte ihren Sinneswechsel dankbar akzeptiert—aber Walter nutzte ihn für den eigenen Vorteil «Schön. Dann laß uns über Weihnachten nach Scarborough fahren.»
    «Mein Gott, Walter!» sagte sie schockiert. «Das kann ich nicht.»
    «Und warum nicht?»
    «Das wäre unrecht. Geradezu verderbt!»
    «Aber schön wär’s auch», sagte er grinsend. Er ließ keinen Blick von ihrem schmalen Gesicht.
    «Das geht nicht,

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