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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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Schrittes die Treppe hinauf. Eine Weile würde sie sich noch um Oma kümmern müssen, dachte sie, denn mit dem alten Mann war nicht viel los. Oder die Töchter müßten einspringen. Aber Nell wußte schon jetzt, daß sie es nicht tun würden.
    Sie stand vor ihrem Schlafzimmer, machte die Tür auf und trat ein.
    Rascheln. Erschreckte Bewegung. Kein Laut, nein, das nicht -Vanwy schrie nicht auf. Eilig hochgezogene Bettdecke, feste weiße Glieder. Vanwy hielt die rosa Satindecke an die Brust gepreßt und blickte Nell mit trotzigem Lächeln entgegen. Sie war schön — ihre kohlschwarzen Augen, das schmale, von dunklen Locken umrahmte Gesicht, die schimmernden weißen Schultern über dem rosa Satin.
    Nell starrte ihre schöne Cousine an, Taffys erschrecktes Gesicht.
    Sie starrte und starrte. Dann sagte sie mit kehliger Stimme, die sie selber kaum erkannte:
    «Hier — hier in meinem Zimmer! Geschändet habt ihr es!» Sie ging auf Taffy zu, und ihre Stimme hob sich. «Gibt’s denn nicht genug Felder und Gräben? Warum hier in meinem Zimmer, in meinem Bett? Warum hast du sie nicht irgendwo in eine dunkle Gasse geschleppt? Das hätte ich dir verzeihen können... das hätte ich verzeihen können», ihre Stimme war nur noch ein Flüstern.
    Einen Augenblick war sie still. Dann, ohne Übergang, stürzte sie sich auf Vanwy, packte sie an den Schultern und grub ihr die Nägel ins Fleisch. «Raus hier!» schrie sie. «Raus!» Sie riß Vanwy aus dem Bett und stieß sie aus dem Zimmer. Taffy saß aufrecht im Bett und sah ihr entsetzt zu.
    Nell zerrte ihre Cousine in den Flur, weg vom Schlafzimmer. Vanwy wehrte sich, aber Nell war wie besinnungslos vor Wut. Sie waren jetzt an der Treppe. Nell hielt Vanwy fest und drückte ihr ein Bein in die Kniekehle, so daß Vanwys Beine nachgaben. Vanwy schrie gellend, was Nell mit tiefer Befriedigung erfüllte.
    Als Taffy angelaufen kam, war es zu spät. Nell ließ Vanwy los, sie schwankte einen Moment und stürzte dann kopfüber nach unten. Nell stand oben an der Treppe und blickte wütend nach unten. Sie hörte Vanwys Schreien, Taffys heiseren Protest, sie hörte auch das Klopfen und die Rufe der Nachbarn. Aber sie fühlte kein Mitleid, keine Reue. Ihre Verzweiflung, die Demütigungen,  Jahrelang angestaut, hatten sich Bahn gebrochen. Taffy und Vanwy hatten ihr kleines Himmelreich vernichtet, und dafür sollten sie büßen!
    Jetzt wandte sie sich ihrem Mann zu. «Raus!» sagte sie. «Schaff sie raus.» Es war, als habe sie nur einen Gedanken: das Haus von Vanwys Gegenwart zu befreien. «Und du gehst mit ihr!»
    Er stand in seinem gestreiften Nachthemd vor ihr und machte eine hilflose Geste. So konnten sie doch nicht gehen, ohne Kleider, ohne Unterkunft, mitten in der Nacht, schien seine Geste zu sagen. «Ich habe dir ja gesagt, sie sollte lieber nicht zu uns ziehen», murmelte er. «Ich hatte dich gewarnt, Nell.»
    Aber Nells Zorn hatte sich noch nicht gelegt. Sie war plötzlich nicht mehr das hilflose Blatt, das von Wind und Strom umhergetrieben wurde. «Raus!» schrie sie und schob Taffy zur Treppe mit einer Kraft, die sie nie für möglich gehalten hätte. Taffy riß sich los, lief nach unten, trat über die stöhnende Vanwy hinweg und verschwand durch die Haustür nach draußen. Vanwy rief jammernd seinen Namen, erhob sich und stolperte hinter ihm her. Nell lief hinunter und schlug die Haustür hinter ihnen zu. Dann stand sie mit klappernden Zähnen im Wohnzimmer, fuhr sich über die Stirn, blickte sich um. Es klopfte an der Haustür, und Taffys flehentliche Stimme rief: «Nell, mach auf, wir können doch nicht so -» Sie antwortete nicht. Schließlich hörte sie, wie sich Schritte langsam die Straße hinunter entfernten. Nell tastete sich die Treppe hoch. Oben stand Benbow schweigend in seiner Zimmertür. Sie beachtete ihn nicht. Sie ging in ihr Schlafzimmer. Das Bett war zerwühlt, die schöne rosa Decke verschwunden. Lange blieb sie neben dem Bett stehen und starrte es an. Dann nahm sie die Kerze, ging hinaus und schloß die Tür hinter sich, endgültig und unwiderruflich. Sie ging zu Benbow und lächelte ihn an. «Komm, mein Herz», sagte sie, brachte ihn ins Bett und deckte ihn zu. Sie zog sich aus, legte sich neben ihn und preßte ihn fest an sich. Und dann kamen die Tränen. Sie weinte und weinte und konnte nicht aufhören. Das Kopfkissen wurde feucht und warm. «Was ist, Mam?» fragte Benbow schließlich.
    «Ich fürchte, ich hab den Kopf verloren, mein Junge.»
    Benbow dachte

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